Was Manager auf Abwege führt

Warum fälschen Firmenchefs Bilanzen und machen einen Luxusurlaub auf Firmenkosten? Es hängt nicht nur von der Persönlichkeit Einzelner ab, auch das Unternehmen selbst kann unabsichtlich verantwortungsloses Handeln fördern, so Günter Stahl von der Wirtschaftsuni Wien.

Der Skandal rund um den US-amerikanischen Energiehändler Enron im Jahr 2001 gilt als einer der größten Wirtschaftsskandale der USA. In rund 15 Jahren hatte das texanische Unternehmen mehrere Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft, doch wegen wiederholter Bilanzfälschungen blieb das über Jahre unentdeckt. Nach Bekanntwerden des Skandals stürzte die Enron-Aktie ab, mehrere tausend Menschen verloren ihre Arbeitsplätze und Kleinanleger ihr Erspartes. Die Pleite gilt als Resultat des korrupten Verhaltens der Chefetage, die Bilanzen manipuliert und Insiderhandel getrieben hat. Ex-Enron Chef Jeffrey Skilling musste dafür hinter Gitter.

Warum Firmenchefs verantwortungslos handeln, erforscht Günter Stahl von der Wirtschaftsuniversität Wien. Für sein Forschungsprojekt „Responsibility & Leadership“ analysieren er und seine Kollegen die Lebensläufe von zahlreichen Topmanagern ebenso wie die Unternehmen selbst. Damit will der Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler ergründen, welche Faktoren das Entscheidungsverhalten von Führungskräften negativ beeinflussen: „Es gibt eine Vielzahl von Korruptionsskandalen oder auch die Zusammenbrüche im Zuge der Wirtschaftskrise. Mich hat interessiert, was gute, fähige Manager dazu treibt, sich in einer Weise zu verhalten, die ihrem Unternehmen, der Gesellschaft und letztlich auch ihnen selbst schadet."

Die Psychopathentheorie

Eine Theorie, die das Forscherteam in ihrem Projekt überprüft, geht davon aus, dass es vor allem Psychopathen sind, die sich ihren Weg in die oberste Ebene von Unternehmen bahnen und dort für Chaos sorgen – die Corporate Psychopath Theory. „Manche sagen, Unternehmen sind so organisiert, dass es für Psychopathen relativ leicht ist, in die Führungsetagen vorzudringen, weil die ganzen Auswahlverfahren und Kriterien darauf angelegt sind, Leute zu befördern, die ein enormes Selbstbewusstsein sowie Durchsetzungsvermögen haben und auch mal bereit sind, über Leichen zu gehen."

Ein Vertreter dieser Theorie ist der britische Wirtschaftsprofessor Clive Boddy. Er geht davon aus, dass die Verantwortung für die Banken- und Wirtschaftskrise 2008 auf das Verhalten von psychopathischen Finanzchefs wie Richard Fuld, Ex-Chef von Lehman Brothers, zurückzuführen ist. Ein Mann, der vor seinen Mitarbeitern sagte, er würde gerne die Herzen seiner Konkurrenten herausreißen und essen. „Psychopathen sind Menschen, die keinerlei Einfühlungsvermögen haben, auch keinerlei schlechtes Gewissen. Sie stellen immer nur ihre eigenen Interessen in den Vordergrund, sind sehr stark narzisstisch und verhalten sich in einer Weise, die dem Unternehmen und der Gesellschaft großen Schaden zufügt.“

„Sind alle hochgradig narzisstisch“

Doch Stahl und seine Kollegen kamen zu einem anderen Schluss. Laut ihren Analysen deutet nichts darauf hin, dass es sich bei Managern wie Jeff Skilling und Co. um Psychopathen handelt, die ihrem Umfeld absichtlich Schaden zufügen und dabei Freude empfinden. Die Hunderten Seiten biografischen Materials, die Stahl und sein Team durchgearbeitet haben, führten die Wissenschaftler bis in die Kindheit der korrupten Firmenchefs.

Firmeneingang Lehman Brothers

AFP PHOTO / Files / Nicholas ROBERTS

Ihre Analyse zeigt, dass alle eine hochgradig narzisstische Persönlichkeit haben - das heißt, sie weisen eine übersteigerte Selbstbewunderung auf. „Das kann fatal sein, weil, wenn man sich gegenüber jeglicher Kritik abschottet, das, was man macht, nicht infrage stellt und auch nicht auf den Rat von anderen im engeren Managementumfeld hört, dann kann es zu diesen Vorfällen kommen.“

Diese Vorfälle reichen vom Ideendiebstahl oder der Ausbeutung der Mitarbeiter bis zu Bilanzfälschungen und horrenden Bonuszahlungen für die Chefetage. Sind also alle Narzissten auch zugleich verantwortungslose Chefs? Günter Stahl sagt Jein: „Ja, weil sie vielen Leuten, die mit ihnen arbeiten müssen, das Arbeitsleben zur Hölle machen. Nein, weil sie auch sehr erfolgreich sein können. Nehmen Sie Steve Jobs. Er war narzisstisch, arrogant, der unterscheidet sich in dieser Hinsicht kein bisschen von Jeff Skilling."

„Männer mittleren Alters“

Es kann aber letztlich auch normale Menschen einmal jucken, sich unethisch zu verhalten - so etwas liegt in der menschlichen Natur, ist Stahl überzeugt. Denn wenn ein Firmenchef Steuern hinterzieht, Bilanzen fälscht und private Feste auf Firmenkosten feiert, hängt das nicht nur von seiner Persönlichkeit ab, sondern auch von der Unternehmenskultur, erklärt Stahl. So spielt es in großen Korruptionsskandalen wie jenen von Enron, Lehman Brothers oder dem aktuellen Abgasskandal beim deutschen Autohersteller Volkswagen eine Rolle, dass die Führungsteams nicht divers, sondern homogen besetzt sind.

„Fast durchwegs waren das Männer im mittleren Alter, die dort Entscheidungen getroffen haben, und das spielt auch eine Rolle. Wenn man hingegen eine gute Mischung an Leuten hat - sprich mehr Frauen, Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Bildungshintergründe, schaffen sie eher eine Kultur des Widerspruchs anstatt einer Kultur des Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-Klopfens. "

Kein Widerspruch erlaubt

Aber nicht nur in den Führungsetagen mangelt es an Widerspruchskultur. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden dazu angehalten, sich mit Kritik und Anmerkungen zurückzuhalten. Ein Verhalten, das der Wirtschaftspsychologe auch beim Autokonzern VW beobachtet. „Es wird immer klarer, dass dieser Skandal zu einem großen Teil auf eine destruktive Unternehmenskultur zurückzuführen ist. Die ist extrem hierarchisch, wo keinerlei Widerspruch von untergeordneten Mitarbeitern geduldet wird." Zu diesem Ergebnis gelangte Günter Stahl, nachdem er die Blogeinträge von VW-Mitarbeitern, die nach dem Skandal entstanden sind, analysiert hat.

Außerdem ist es dem Wissenschaftler zufolge entscheidend, welche Rolle Werte wie Fairness, soziale Verantwortung oder Integrität in einem Unternehmen spielen. Ob sie nur als Werbung auf der Firmenwebsite stehen oder ob die Mitarbeiter das Gefühl haben, Werte wie diese werden tatsächlich - intern wie extern - praktiziert. Auch das zeigt der Blick auf vergangene Korruptionsskandale. „Wir haben herausgefunden, wenn es hier eine Diskrepanz gibt, wirkt sich das auf alle Ebenen negativ aus - Mitarbeiterzufriedenheit, die Bereitschaft, das Unternehmen zu verlassen, oder sich unethisch zu verhalten.“

Alles neu in der Führungsebene

Will man das Unternehmen aus einer solchen Krise wieder herausholen, muss die gesamte Unternehmenskultur erneuert werden und das bedeutet: Es muss einen Wechsel in der Führungsetage geben. „Man muss die gesamte Führungsetage austauschen und Team und Leute von außen rein bringen, nur dann kann es gelingen. Ich bezweifle deshalb, ob das bei VW mit dem ehemaligen Porsche-Chef Matthias Müller funktionieren wird. Immerhin wurde Müller in dem Konzern von Beginn an sozialisiert.“

Ein Austausch in der Führungsetage kann aber nur dann etwas positiv verändern, wenn der neue Firmenchef die proklamierten Werte auch tatsächlich vorlebt. In Aufnahmeverfahren achtet man meist nur auf klassische Attribute wie Durchsetzungsfähigkeit, Charisma und Selbstbewusstsein, kritisiert Stahl, der selbst Bewerbungsabläufe für Managementpositionen gestaltet hat. „Charisma zu haben und eine Vision ist gut, aber das muss kombiniert werden mit Integrität und sozialer Verantwortlichkeit. Sonst führt sehr häufig das in die Katastrophe.“

Ob Korruption und fehlende Führungsqualitäten verschwinden, wenn sich die Unternehmenskultur ändert? Stahl bezweifelt das. Jedoch appelliert er an Firmen, sich weniger an Quartalsgewinnen zu orientieren. Vielmehr sollte es einen klaren Auftrag geben, Gewinne auf eine sozial verträgliche Weise einzufahren, die Kunden, Aktionären und Mitarbeitern gleichermaßen zugutekommen. Werden diese Werte gelebt, würde es Narzissten auch schwerer fallen, die Führungsetage eines Unternehmens zu erreichen.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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