Mädchen finden sich seltener genial

„Mädchen sind fleißig, Buben gescheit“ - schon Sechsjährige dürften dieses Klischee verinnerlicht haben. Jedenfalls halten Schulanfängerinnen ihresgleichen einer Studie zufolge seltener für genial als das gleichaltrige Buben tun.

Frauen in Industrienationen befinden sich bei der Ausbildung längst auf der Überholspur. In Österreich liegen sie bei den Studienabschlüssen bereits vorne. Nur in manchen Fächern sind sie noch immer extrem unterrepräsentiert, z.B. in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Trotz aller Versuche, Mädchen und Frauen dafür zu begeistern - das Ungleichgewicht bleibt.

Idiot und Genie

Ein Klischee, das sich hartnäckig in den Köpfen von Männern wie Frauen hält, steckt hinter dieser Schieflage - zu diesem Schluss kamen die Forscher um Sarah-Jane Leslie von der Princeton University in einer Studie aus dem Jahr 2015. Es besagt: Die männliche Intelligenz sei breiter gestreut als die weibliche, d.h., es gebe mehr Ausreißer nach oben und nach unten: auf der einen Seite der Idiot, auf der anderen das Genie. Laut Leslie ist das Unsinn: Dennoch seien Männer in akademischen Fächern, in denen man angeblich mehr Genialität braucht - wie etwa in den Naturwissenschaften, aber auch in der Philosophie, deutlich in der Überzahl.

Ein Lebensjahr macht den Unterschied

In ihrer aktuellen Arbeit hat sich Leslie gemeinsam mit zwei Kollegen auf die Suche nach den Wurzeln dieses Vorurteils gemacht, bei fünf- bis siebenjährigen Kindern. Im ersten Experiment erzählten die Forscher den 96 Buben und Mädchen eine Geschichte von jemandem, der „wirklich sehr schlau“ ist.

Dann durften die Kinder entscheiden, wer der Protagonist war, zur Auswahl standen vier Erwachsene (zwei Männer, zwei Frauen). Bei den Fünfjährigen wählten Buben wie Mädchen vorzugsweise Vertreter ihres eigenen Geschlechts als Held oder Heldin. Bei den sechs- und siebenjährigen Mädchen war diese Präferenz hingegen - anders als bei den Buben - verschwunden, unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund der kleinen Probanden.

In einem weiteren Experiment ging es um zwei Spiele. Für eines müsse man „wirklich sehr schlau“ sein, beim anderen sich „echt richtig anstrengen“, erklärten die Forscher den Kindern. Die älteren Mädchen waren deutlich seltener am ersten Spiel interessiert als die Buben, beim zweiten Spiele gab es keine geschlechtstypischen Vorlieben.

Prägende Weltsicht

Eine Zusatzbefragung zeigte, dass die Vortsellung von Genialität nichts mit Schulnoten zu tun hatte. Immerhin haben die sechs- und siebenjährigen Studienteilnehmer im Gegensatz zu den Jüngeren bereits mit der Schule begonnen. Wie die Forscher anmerken, könnten aber andere schulinterne Erfahrungen mitspielen, dass Mädchen und Buben ihr eigenes Geschlecht in unterschiedlichem Licht sehen.

Auch andere geschlechtsspezifische Normen, wie die von Mädchen öfter geforderte Bescheidenheit dürfte nach Ansicht der Forscher nichts mit ihrer Sicht auf Genialität zu tun haben. Denn Kinder beiderlei Geschlechts übertreiben in diesem Alter noch meist bei ihren eigenen Fähigkeiten. Und in der Erzählung mussten sie sich nicht einmal selbst mit den Protagonisten identifizieren.

Wo auch immer der Wandel zwischen Fünf- und Sechsjährigen herkommt, die Ergebnisse sind laut den Studienautoren jedenfalls ernüchternd: Wenn sich die Idee, dass nur Männer wirklich brillant sein können, schon in so jungen Jahren bei Mädchen festsetzt, prägt das die persönlichen Interessen. Manche zukünftige Lebenswege bleiben damit von vornherein verschlossen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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