Wir Teilzeitignoranten

Widersprüche im postfaktischen Zeitalter: Donald Trump beruft sich ohne Genierer auf „alternative Fakten“. Doch das Vertrauen der US-Amerikaner in objektives Wissen ist nach wie vor hoch. Wie passt das zusammen? Die These des Psychologen Troy Campbell: Wir sind alle Teilzeitignoranten.

science.ORF.at: Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway hat der Welt einen neuen Begriff geschenkt: „alternative Fakten“. Ihr Kommentar dazu?

Troy Campbell: Der Begriff hat auch einen positiven Hintergrund. Alternative Meinungen zuzulassen, gilt als eine Tugend, speziell unter liberalen Amerikanern. Wir lernen schon in der Schule: Standpunkte sind nur so gut, wie wir für sie argumentieren können. Das ist Teil der amerikanischen Kultur.

Troy Campbell

Troy Campbell

Zur Person

Troy Campbell ist Professor am Lundquist College of Business der University of Oregon. Texte von Campbell zum Thema Trump, Fakten und die Relativität der Wahrheit:

Aber sprachlogisch betrachtet ist die Phrase ein Widerspruch in sich: Wenn es sich um Fakten handelt, dann gibt es keine Alternative.

Stimmt. Dahinter steht eine Reihe psychologischer Motive. Menschen tendieren dazu, das zu glauben, was sie glauben wollen. Da nehmen sie es mit den Fakten nicht immer so genau. Was Trump und sein Team mit dem Begriff erreichen wollen, ist: Sie wollen Menschen davon überzeugen, dass die Fakten, die andere präsentieren, falsch sind - oder irrelevant. Mit dieser Strategie waren sie recht erfolgreich: Sie haben ein Klima der Skepsis und des Misstrauens geschaffen, speziell gegenüber den Trump-kritischen Medien.

Befindet sich die Wahrheit in einer Krise? Leben wir tatsächlich in einem, wie es heißt, „postfaktischen“ Zeitalter?

Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir leben in einem Zeitalter, in dem empirische Fakten in bestimmten Situationen unter Druck geraten. Wenn sie sich die Ergebnisse von Umfragen in den USA ansehen: Der Anteil von Menschen, die Wissenschaftlern und Ärzten vertrauen, ist unglaublich hoch. Das Problem entsteht erst dann, wenn diese Wissenschaftler und Ärzte Dinge sagen, an die Menschen nicht glauben wollen.

Dann erwacht plötzlich die Skepsis der Betroffenen, dann suchen sie nach möglichen Fehlern in der Argumentation oder betrachten die Argumentation als nicht relevant - das passiert allerdings nur sehr selten. Wir leben meiner Ansicht nach zwar nicht in einer postfaktischen Zeit. Aber es ist heute einfacher denn je, Fakten zu negieren, wenn wir sie negieren wollen.

Warum?

Wenn jemand sagt, diese Informationsquelle ist unausgewogen oder unseriös, dann tendieren wir dazu, dieser nicht zu glauben. Die Herabsetzung der Glaubwürdigkeit ist das einfachste und wirksamste Mittel, um Fakten auszuhebeln.

Die zweite Ursache hat mit einem Phänomen zu tun, das der amerikanische Psychologe Solomon Asch bereits in den 1950ern untersucht hat. In seinem mittlerweile berühmten Experiment passierte folgendes: Der Studienleiter zeigte einem Probanden eine Linie - dann musste der Proband herausfinden, welche von drei Vergleichslinien gleich lang wie die erste ist. Wenn nun in dem Raum andere Menschen saßen, die alle die falsche Antwort gaben, dann gab der Proband wegen des Gruppenzwangs ebenfalls häufig die falsche Antwort - und zwar wider besseres Wissen. Die Experimente zeigten aber auch: Wenn in dem Raum nur eine Person saß, die derselben Ansicht war, dann blieben die Probanden meist bei ihrer Meinung.

Donald Trump mit expressiver Geste vor einer TV-Kamera

ASSOCIATED PRESS

Donald Trump: „I have a running war with the media.“

So war es auch in der Prä-Internetära: Die Menschen saßen in ihren Zimmern mit ihren sonderbaren Ansichten - und es gab niemanden, der sie mit ihnen teilen wollte. Das Internet macht es nun möglich, Meinungen mit unter Umständen Millionen Gleichgesinnten zu teilen.

Es geht nicht nur darum, das eine oder andere Faktum zu ignorieren, es geht darum, dass es viele andere Menschen gibt, die ähnlich denken. Das kann potenziell auch eine gute Sache sein - Bernie Sanders und Donald Trump machen sich in ihrer Politik exakt die gleiche Psychologie zunutze. Ich sagen zu meinen Studenten immer: Unterschiedliche Moral, gleiche Psychologie!

Sie sagten vorhin: Empirische Fakten geraten in bestimmten Situationen unter Druck. Gilt das für uns alle? Oder gibt es einen bestimmen Typus Mensch, der für diese Ignoranz besonders empfänglich ist?

Ich hänge die meiste Zeit mit anderen Wissenschaftlern herum, also mit Menschen, die Fakten ihr ganzes Leben widmen. Und auch hier stelle ich fest: Viele ignorieren hier und da Fakten oder neigen zumindest zu unrealistischem Optmismus. Ich kenne Wissenschaftler, die essen extrem viel dunkle Schokolade und zitieren Studien, die den gesundheitlichen Nutzen von dunkler Schokolade nachweisen. Das mag schon stimmen. Aber ein halbes Kilo dunkle Schokolade in drei Tagen? Das kann nicht gesund sein. Wir alle neigen zu motivierter Wahrnehmung oder einseitigen Urteilen. Das tut vermutlich jeder Mensch alle drei oder vier Stunden.

Wenn das jeder tut: Haben wir nun ein Problem oder nicht?

Nur weil etwas normal ist, muss es noch lange nicht richtig sein. Wissenschaft ist deswegen eine großartige Sache, weil sie sich selbst zu korrigieren vermag, obwohl sie bisweilen zu falschen Resultaten führt. Das System ist nicht perfekt, aber es kann mit diesen Fehlern perfekt umgehen.

Wie kann man gute von schlechter Kritik unterscheiden? Was ist ein sachlicher Einwand und was ist schlicht Ignoranz?

Da gibt es einen großen Unterschied: Neugierde. Mein Kollege Dan Kahan hat herausgefunden, dass neugierige Menschen eher Dinge lesen, die ihren Ansichten widersprechen. Es gibt also einen Unterschied zwischen einer gewissen Parteilichkeit und dem Bedürfnis, die eigene Meinung unbedingt aufrechtzuerhalten.

An meiner Universität haben wir jede Woche eine Happy Hour für junge Professoren. Da sage ich zu meinen Kollegen: Ich habe meinen Standpunkt und ich reagiere möglicherweise ablehnend auf eure Ansichten. Aber ich bin offen für jede Art von Information, die mich auf den neuesten Stand bringt. Das ist es, was ich glaube - jetzt helft mir, es besser zu tun!

Ein guter Skeptiker sagt: Diese und jene Information könnte meinen Standpunkt ändern. Ein schlechter Skeptiker sagt: Du hast unrecht und es gibt nichts, was mich von dieser Ansicht abbringt.

Glauben Sie, dass Donald Trump willens oder fähig ist, seinen Standpunkt ebenfalls zu ändern - etwa in Bezug auf den Klimawandel?

Als junger Professor an einer Business School möchte ich nichts sagen, was mich in Schwierigkeiten bringen könnte. Lassen Sie mich daher so antworten: Ich denke nicht, dass Politiker alles glauben, was sie sagen. Politiker sind eher wie Rockstars. Und Rockstars übertreiben immer. Wenn sie auf ein Punkrock-Konzert gehen - und ich mache das häufig, dann hören sie die Band ständig schreien: „Rise! Crush! Destroy!“ Das meinen die doch nicht wirklich ernst. Es ist eine Metapher. Mag sein, dass das manche Leute tatsächlich ernst nehmen und nach dem Konzert zu randalieren beginnen. Aber die meisten - mich inklusive - tun das nicht. Wir fahren einfach nach Hause und hören Internetradio, oder?

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: