Bildung: Flucht aus der Armut

Flucht kann viele Gründe haben, fehlender Zugang zu Schulen ist einer davon. Manchen Angehörigen der Karen, einer Volksgruppe aus Myanmar, ist Bildung so wichtig, dass sie dafür in Flüchtlingslager nach Thailand gehen.

Hunderttausende Karen flohen in den letzten Jahrzehnten aus Myanmar in das benachbarte Thailand und andere Länder. Die Angehörigen dieser ethnischen Minderheit fliehen vor Unterdrückung, Verfolgung und Tod, manche auch um zur Schule gehen zu können. Die Sozialwissenschaftlerin Pia Jolliffe beschäftigte sich rund zehn Jahre lang mit der Haltung der Karen zu Bildung und welchen Einfluss ihre Fluchterfahrungen darauf haben.

Das verlorene Buch

Die Karen sehen Bildung als wertvolles Geschenk, das erwidert werden soll, indem das Erlernte zum Wohle der Älteren eingesetzt wird. Diese Haltung liege in einer alten Legende begründet, so Jolliffe. Danach schenkte Gott den Karen vor Urzeiten ein Buch. Es enthielt das gesamte Wissen der Welt. Doch die Karen arbeiteten lieber am Feld und beachteten es nicht. Da entwendete ihr weißer Bruder das Buch und brachte damit anderen Völkern Wissen und Wohlstand. Diese Legende lebe in den Köpfen der Menschen weiter. Bildung werde als Weg aus der Armut und zum Fortschritt gesehen. Eltern sei es daher besonders wichtig, ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 10.3. um 13:55.

Für die noch in Mynamar lebenden Karen ist das schwierig. Nicht in allen Orten gebe es eine Schule. Die Kinder müssten daher oft weite Strecken bis zur nächsten Volksschule zurücklegen. Dort finde der Unterricht meist nicht in ihrer Muttersprache statt, was sich negativ auf Lernerfolg und Selbstbewusstsein der Kinder auswirke. Weiterführende Schulen seien meist nur mit einem Stipendium leistbar. Dazu komme die Angst vor Angriffen durch feindliche Milizen, die den Kindern das Lernen erschwert, so Jolliffe.

Bildung als Fluchtgrund

„Um eine gute Schulbildung zu erhalten, gehen manche Karen-Kinder in Flüchtlingslager nach Thailand. Sie wissen, dass dort Unterricht bis zum Ende des Gymnasiums angeboten wird“, schildert die Sozialwissenschaftlerin. In den Flüchtlingslagern werden die Kinder vor allem in Geografie, Geschichte und Englisch unterrichtet. Die Naturwissenschaften kämen oft zu kurz - es fehlen die Unterrichtsmaterialien.

Durch die Anwesenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern internationaler NGOs sprechen die Kinder schnell fließend Englisch. Das komme vor allem denjenigen zugute, die mithilfe eines Umsiedlungsprogrammes nach Großbritannien ziehen konnten. Dort hätten viele die Matura nachgeholt und ein Studium absolviert. Leider komme es durch die Umsiedlungsprogramme auch zu einem großen Brain-Drain, denn nur die gebildetsten Karen bekämen die Chance auf ein neues Leben in einem anderen Land. Für die Karen, die in den Lagern bleiben müssen, stehen die Chancen auf bezahlte Arbeit weit schlechter. Sie dürfen die Lager offiziell nicht verlassen, die einzigen Arbeitgeber sind daher oft die in den Lagern tätigen NGOs.

Tradition und Innovation

Traditionelles Wissen gehe durch die Flucht zum Teil verloren. Andererseits würden sich die Karen neue innovative Wege einfallen lassen, wie es auch in der Diaspora weitergegeben werden kann. „Der traditionelle Reisanbau kann in einer Gegend wie Sheffield in England, nicht an die Kinder weitergegeben werden. Aber das Weben zum Beispiel kann man schon weitergeben“, so Jolliffe.

Die Schulbildung der jungen Karen helfe dabei traditionelles Wissen zu erhalten. Sie sprechen meist mehrere Sprachen und können mit Internet und Post umgehen. Dadurch werde es möglich, dass in Thailand oder Myanmar verbliebene Familienmitglieder Stoffe und Farben nach England schicken, wo sie zu traditioneller Kleidung gewebt werden. Die Jungen helfen ihren Eltern auch dabei, sich in der neuen Gesellschaft zurechtzufinden. So könne etwas von dem Geschenk, das die Eltern ihren Kindern in Form einer guten Schulbildung gemacht haben, an diese zurückgegeben werden.

Lena Hallwirth, Ö1 Wissenschaft

Mehr zum Thema