Strategien gegen den Hass

„Fake News“, Hasskommentare, „Lügenpresse“: Im Internet tobt ein Kampf um die Wahrheit. Damit demokratische Grundwerte dabei nicht auf der Strecke bleiben, hat die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Strategien entwickelt.

Aufklären statt selbst eingreifen lautet dabei das oberste Motto. „Wir haben eine Aufklärungsaufgabe und keine Wächterfunktion“, so Caroline Hornstein Tomic von der bpb.

Eine Behörde für Demokratie

„Kann den wer anzünden bitte?“ und „Ey, du Missgeburt, hoffentlich stirbst du als nächstes“ - Hasspostings wie diese veröffentlichen Menschen beinahe täglich in Sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube. Sie richten sich gegen jene, die eine andere Meinung haben, gegen Politiker, Fremde, Frauen und viele mehr.

„Die Sprache ist zunehmend gewalttätig und es gibt eine größere Gewaltbereitschaft", sagt Hornstein Tomic, inhaltliche Leiterin der Bundeszentrale für politische Bildung - jene Behörde, die in Deutschland nach Eigendefinition „das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern und das demokratische Bewusstsein zu festigen“ hat. In Österreich gibt es keine vergleichbare Einrichtung. Wie die bpb nun den rassistischen, sexistischen und diskriminierenden Kommentaren entgegenwirken will, erklärt Hornstein Tomic im Interview.

science.ORF.at: Der Ursprung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) liegt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, genauer im Jahr 1952. Nach der NS-Zeit war das Ziel, die deutsche Bevölkerung zu redemokratisieren - was ja gelungen ist. Wie hält man diesen Zustand aufrecht?

Caroline Hornstein Tomic: Die Demokratie lebt von der Kontroverse, dem persönlichen und öffentlichen Austausch. Das ist nichts, was irgendwann erreicht ist, vielmehr ist es ein täglicher, offener Prozess. Das betrifft auch die Errungenschaft, dass Gewalt kein legitimes Mittel des politischen Kampfes ist. Diese Errungenschaft gilt es zu verteidigen. Wir erleben nämlich gerade zunehmend das Gegenteil: eine gewalttätige Sprache, eine größere Gewaltbereitschaft gegenüber Fremden und Andersdenkenden - vor allem auch in den sozialen Medien.

Die Frage nach der Demokratisierung ist demnach heutzutage genauso zentral wie damals, und es ist aus gegenwärtiger Sicht ebenso fraglich, ob wir das Ziel erreichen. Wir müssen Demokratie jeden Tag erkämpfen, erklären, erfahrbar machen und praktizieren. Daher sind wir auch heute genauso gefordert.

Zur Person

Caroline Hornstein Tomic ist seit dem 1. April 2016 Leiterin der Fachabteilung der Bundeszentrale für politische Bildung. Ihr Aufgabenfeld umfasst die Koordinierung und Steuerung der inhaltlichen Arbeit und der Planungsprozesse in den unterschiedlichen Fachbereichen der bpb.

Ende letzten Jahres hat die Bundeszentrale für politische Bildung mit YouTube die Kampagne „#nichtegal“ gegen Hass im Netz gestartet. Dabei sprechen sich 22 junge YouTube-Stars gegen gewalttätige Sprache aus. Ist die Jugend der Schlüssel, wenn es darum geht, die demokratischen Werte hochzuhalten?

Wir haben vor allem - aber nicht nur - die Aufgabe, junge Menschen zu erreichen. Darüber hinaus haben wir Integrationsaufgaben gegenüber Flüchtlingen und Migranten ebenso wie gegenüber jenen Menschen, die sich in der Gesellschaft marginalisiert oder abgehängt fühlen und sich im demokratischen Prozess nicht repräsentiert sehen.

Dabei muss man sehen, dass politische Bildung nicht sofort wirkt. Wir regen zum Denken an bzw. geben Anstöße, um stärker differenzieren zu lernen und unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können. Das ist, was politische Bildung bedeutet und hier haben wir einen Auftrag.

Die „#nichtegal“-Kampagne stieß kurz nach Erscheinen auf heftige Kritik. Hat Sie die irritiert?

Über soziale Medien kann man Anreize schaffen, sich zu beteiligen. YouTuber sind heute Stars und Ikonen für junge Leute, die aber auch Reibung schaffen. Insofern konnte man nicht davon ausgehen, dass es keine Kontroverse darüber gibt.

Das ist aber genau der Punkt: Die Kontroverse wollen wir ja. Wir wollen, dass sich junge Menschen einbringen, sich engagieren und die Auseinandersetzung suchen.

Viele fühlten sich durch diese Kampagne bevormundet oder in ihrer Meinungsfreiheit beschnitten - können Sie das nachvollziehen?

Es geht darum, die Meinungsvielfalt abzubilden, aber es gibt natürlich Diskussionsregeln. Wir versuchen aufzuzeigen, wo Meinungsäußerung in soziale Aggression kippt - in latent gewalttätige Sprache, wo Werte und Respekt verletzt werden. Nämlich dann, wenn bestimmte Meinungen die Meinungen der anderen einschränken und sie in ihrer Freiheit begrenzen. Wir versuchen, aufzuzeigen, wo und wofür Stereotype eingesetzt werden und wann eine bloße Meinung etwa zu einer rassistischen Äußerung wird.

Müsste man nicht auch selber in den Diskurs mit einsteigen, in jenen Foren, wo sich Menschen politisch bilden und Hass geschürt wird?

Das ist grundsätzlich richtig, wir als Bundeszentrale für politische Bildung können aber nur andere dazu animieren und ihnen Argumentationshilfen geben, um sich im sozialen Netz entsprechend zu äußern, wenn sie merken, dass eine Grenze überschritten wird.

Man muss auch sagen, dass jene, die Hasspostings schreiben, nur schwer in einen Austausch zu locken sind. Das sind Menschen, die am demokratischen Spiel - also daran, Argumente auszutauschen - kein Interesse haben. Sie haben ein anderes Interesse, nämlich zu manipulieren oder eine Meinung zu äußern, ohne sich dem Meinungswettstreit auszusetzen.

Das heißt, diese Gruppe gilt als verloren und man hat dem nichts entgegenzusetzen?

Hier ist in erster Linie die Politik gefragt, sich damit auseinanderzusetzen. Die bpb handelt nicht wie ein Politiker. Wir können nicht Meinungen dagegen setzen und sind auch nicht die Regulatoren des öffentlichen Diskurses. Wir haben eine Aufklärungsaufgabe und keine Wächterfunktion. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, die Kontroverse zu provozieren und deutlich zu machen, wie wichtig sie für den demokratischen Prozess ist. Wir wirken daher nicht direkt ein, sondern arbeiten mittelfristig auf Differenzierungen hin. Wir geben Argumente in die Hand, wie man sich gegen rassistische oder sexistische Herabsetzungen wehrt oder die Argumentationslinien solcher Postings erkennt. Der Nahkampf muss aber in der Politik ausgetragen werden.

Wie bekommt man den Zustrom, den Pegida, islamistische oder andere politische Bewegungen erfahren - nicht zuletzt über soziale Medien - in den Griff?

Entscheidend ist, dass wir uns auch an jene wenden, die noch unschlüssig sind, sich aber dennoch beeindrucken lassen und zu solchen Demos und dergleichen hineingehen. Hier gibt es durchaus eine breite Mitte, die wir dafür gewinnen müssen, skeptisch gegenüber der Schwarz-Weiß-Malerei zu sein und damit gegenüber der Reduktion einer komplexen Realität. Bei denen, die sich entzogen haben und am demokratischen Prozess nicht mehr teilhaben wollen, bin ich sehr skeptisch, ob und wie wir sie zurückholen können.

Wie loten Sie diese breite Mitte aus?

Es ist nach wie vor wichtig, in den klassischen Sozialisationsinstitutionen zu wirken, wie Schulen oder Jugendverbänden. Dort unterstützen wir mit unseren Angeboten Lehrkräfte und Betreuer in der Präventionsarbeit, denn letztendlich sind sie es, die im Alltag mit den Themen der jungen Menschen direkt befasst sind und an sie herankommen können.

Im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ beispielsweise, das wir mit dem Bundesministerium des Inneren durchführen, gehen wir auch gezielt in den ländlichen Raum und arbeiten dort mit Vereinen wie der freiwilligen Feuerwehr, Sportvereinen usw. zusammen.

Oder wir haben Projekte wie etwa die „Begriffswelten Islam“, wo YouTuber Wissen zu strittigen Themen in der Sprache ihrer Zielgruppen vermitteln. Das macht politische Bildung effektiv. Die YouTuberin Hatice Schmidt beispielsweise wendet sich dabei fragend an Wissenschaftler oder an Vertreter des Islam. Das ist für uns eine Möglichkeit, politische Bildung in die sozialen Realitäten und auch in die virtuellen Alltagsräume zu bringen.

Zuletzt ist die Idee aufgetaucht, „Fake News“ zu bekämpfen, die ja oft Grundlage von Hasskommentaren sind. Fangen Sie etwas mit dem Begriff an oder ist das ein Versuch von Zensur, wie die Kritiker der „Lügenpresse“ meinen?

Das Phänomen der Falschmeldungen ist sicher kein neues, auch wenn es mit den Verbreitungswegen insbesondere der Sozialen Netzwerke zumindest eine neue „Qualität“ erreicht hat.

Zu „Fake News“ planen wir eine ganze Reihe von On- und Offlineangeboten, um die Medienkompetenz und insbesondere Informationskompetenz der Nutzerinnen und Nutzer zu stärken. Jeder Einzelne sollte in der Lage sein, Meldungen im Netz kritisch zu prüfen. Es ist diese Kompetenz, die es ermöglicht, Unterschiede zwischen transparenten und fehlerhaften – oder sogar bewusst verschleierten – Quellen festzustellen. Standards journalistischer Arbeit können hier zum Beispiel eine erste Orientierung bieten, wie etwa das Zweiquellenprinzip. Wichtig ist es in jedem Fall den Meinungsbildungsprozess offen, kontrovers und transparent zu halten.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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