Wie aus EU-Frust ein Erfolg wurde

Mehr als 7.000 Förderungen in zehn Jahren, pro Projekt bis zu zwei Millionen Euro für die Grundlagenforschung: Der European Research Council (ERC) gilt als europäische Erfolgsgeschichte. Dabei ist er 2007 vor allem aus EU-Frust gegründet worden.

Der Politikwissenschaftler und Historiker Thomas König war drei Jahre lang wissenschaftlicher Assistent von Helga Nowotny. Die österreichische Soziologin hat den ERC mitbegründet, war ab 2007 seine Vize- und von 2010 bis 2013 seine Präsidentin. Im jüngst erschienenen Buch „The European Research Council“ hat König die Geschichte des ERC aus dem Blickwinkel eines „Insiders“ aufgearbeitet.

science.ORF.at: Europäisch im Titel, aber Europa-Frust als Initialzündung des ERC - wie kann man sich das vorstellen?

Ö1 Sendungshinweis

Über „Zehn Jahre ERC“ berichtet auch „Wissen Aktuell“ am 27.2.2017 um 13.55 Uhr.

Thomas König: Nicht Europa-Frust, sondern EU-Frust war ein Hauptmotiv zur Gründung des ERC. Die Ironie des ERC ist, dass er heute ein Bestandteil des Forschungsrahmenprogramms ist, die Gründungspersönlichkeiten ihn aber als eine Alternative dazu gesehen haben. Da war der ganz starke Wunsch nach mehr Geld für die Grundlagenforschung vor allem an Universitäten. Und man wollte weniger Bürokratie, weniger administrativen Aufwand - diese „Monster“, wie es wörtlich genannt wurde, wollte man zähmen. Noch während der Gründung des ERC wurde aber klar, dass die Regeln in der EU so gestaltet sind, dass man ein Projekt wie den ERC nicht außerhalb der Strukturen etablieren kann.

Um sich dennoch von bestehenden Programmen abzugrenzen, hat der ERC von Anfang an die Exzellenz sehr hoch gehalten?

Es war immer klar, dass es um die Grundlagenforschung gehen sollte. Und wie entscheidet man über die Vergabe von Förderungen für die akademische Forschung? Am besten, indem man auf die Qualität schaut. Dass dieser Exzellenzbegriff so in den Vordergrund gerückt wurde, das war - glaube ich - eher ein politisch sehr geschicktes Mitschwimmen mit dem damaligen Trend. Die Leute im ERC haben diesen Begriff - der ja bei Weitem nicht so alt und positiv besetzt ist, wie es heute scheint - sehr geschickt für sich genutzt.

Vom Blickwinkel der Forscherinnen und Forscher in Europa - was hat der ERC ihnen gebracht?

Zum einen natürlich eine Möglichkeit, für Projekte aus der Grundlagenforschung Geld zu bekommen. Zum anderen: Dadurch, dass der ERC ein internationales Instrument der Forschungsförderung ist, schafft er eine andere Form von Mehrwert. Eine Wissenschaftlerin, die einen ERC-Grant hat, wird in Norwegen oder Portugal genauso viel Anerkennung bekommen wie in Österreich. Mit einer FWF-Förderung ist der Reputationsgewinn auf Österreich begrenzt. Dieses symbolische Plus ist wirklich bemerkenswert.

War es von Anfang an klar, dass der ERC allen Disziplinen offen steht und sich nicht z.B. auf die Naturwissenschaften konzentriert?

Nein, da gab es schon unterschiedliche Vorstellungen. Die Life Sciences sind in Europa traditionell am besten organisiert und haben ursprünglich sehr stark gefordert, dass es einen ERC speziell für sie gibt. Ihr Argument war, dass sie die Speerspitze der Forschung sind. Deshalb wäre es wichtig, dass sie gefördert werden, die anderen Fächer könne man immer noch später nachholen. Dass es anders gekommen ist, lag zum einen an der Eingliederung des ERC in das EU-Rahmenprogramm. Zum anderen waren es auch Fürsprecher des ERC wie Helga Nowotny, aber auch Dan Brändström, Direktor des Jubiläumsfonds der schwedischen Reichsbank, die auf die Sozial- und Geisteswissenschaften geschaut haben.

Die Betonung der Exzellenz hatte zur Folge, dass gut aufgestellte Länder und Universitäten immer mehr ERC-Geld bekommen haben: Großbritannien, Deutschland, Frankreich. Angesichts von EU-Krise und Brexit - war die Exzellenzstrategie dennoch richtig?

Ja, natürlich. Weil der ERC im Kontext der europäischen Forschungsförderung eine Nische - sehr erfolgreich - besetzt. Betrachtet man die Budgets, die da insgesamt vergeben werden, ist der ERC noch immer relativ klein. Er macht eine Schieflage eher sichtbar, als dass er sie verstärkt.

Grafik der ERC-Grants

ERC

Was bedeutet der Brexit für den ERC?

Nichts Gutes. Der Brexit ist ein ziemlicher Rückschlag für das ganze Projekt eines europäischen Forschungsraums. Für den ERC im Speziellen ist er auch problematisch. An seiner Entstehungsgeschichte sieht man, dass britisches Know-How bei Weichenstellungen, die letztlich zum Erfolg des ERC geführt haben, sehr maßgeblichen Einfluss hatte. Der ganze ERC kommt aus einem anglo-amerikanisch geprägten Wissenschaftsverständnis. Außerdem stammt derzeit die Hälfte der Menschen mit ERC-Grant in Großbritannien aus einem anderen europäischen Land.

Zitat aus Ihrem Buch: „Der ERC hat massiv dazu beigetragen, dass die EU an Anziehungskraft gewonnen hat - zumindest unter den akademischen Eliten.“ Wissenschaft als Elitenthema - ein Grund, warum Europa als Wert nicht durchdringt?

Ja, das ist wahrscheinlich richtig. Wissenschaft ist ein sehr geschlossenes System mit seinen eigenen Logiken und Ritualen. Das ist sinnvoll, denn so kann auf hohem Niveau geforscht werden. Ein Nischenprogramm wie der ERC ist immer auf die „academia“ konzentriert; und weil er diesen Exzellenzcharakter vor sich her trägt, natürlich auf die akademische Elite.

Zehn Jahre liegen hinter den ERC - wagen Sie einen Ausblick auf die nächsten zehn?

Ein positives Szenario: Der ERC ist eine Einrichtung, die noch stärker in der europäischen Wissenschaftscommunity verankert wird. Nicht so positiv: Der ERC entschlüpft in den nächsten Jahren den Händen der Forscherinnen und Forscher und wird ein weiteres Programm der EU-Kommission. Es wird nicht zuletzt eine Aufgabe des Leitungsgremiums sein, die Verbundenheit der europäischen Wissenschaft mit dem ERC zu stärken.

Interview: Elke Ziegler, science.ORF.at

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