Wie verwundbar macht der Klimawandel?

Wie sehr der Klimawandel die Menschen betreffen wird, hängt auch davon ab, wie sich Gesellschaften den Veränderungen anpassen können. Doch auch die Gesellschaften verändern sich. Ein neues demografisches Modell soll eine bessere Prognose ermöglichen.

„Wir können nicht einfach annehmen, dass die Menschen in 50, 60 Jahren die gleichen sein werden wie heute. Denn nicht nur das Klima, auch Gesellschaften entwickeln sich dynamisch“, erklärt Wolfgang Lutz, der das Weltbevölkerungs-Programm am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und das Institut für Demographie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) leitet.

Die Studie

„Forecasting societies’ adaptive capacities through demographic metabolism model“, Nature Climate Change, 1.3.2017

Dennoch würden nach wie vor viele Prognosen auf Basis der heutigen Gesellschaft durchgeführt. Als Beispiel nannte Lutz eine Abschätzung der Weltgesundheitsorganisation über die zusätzlichen Malariaerkrankungen in Ostafrika aufgrund des Klimawandels. Dafür seien Prognosen für das Klima in den 2070er und 2080er Jahren und der Status quo der Gesellschaften, etwa deren Gesundheitssysteme, verwendet worden - weil man ja nichts über die gesellschaftliche Entwicklung der Zukunft sagen könne.

„Demographischer Metabolismus“

„Doch die Demographie kann Jahrzehnte in die Zukunft blicken“, so Lutz. Eine entscheidende Größe dabei ist - und das war Lutz’ Hypothese und Ansatz eines vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projekts - die Bildung. „Wenn wir wissen, wie viele 20- bis 25-Jährige heute Matura haben, wissen wir recht gut, wie viele 60- bis 65-Jährige in 40 Jahren dieses Bildungsniveau und damit all jene anderen Fähigkeiten haben werden, die mit einem höheren Schulabschluss verbunden sind“, so der Wissenschafter.

Die Forscher haben dieses Modell „Demographischer Metabolismus“ genannt. Sie können damit sagen, wie sich eine Gesellschaft durch den Generationenwechsel in vorhersehbarer Weise entwickeln wird. Eine solche Modellierung der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung nach Alter, Geschlecht und Bildungsstand wurde im Zuge des Projekts für jedes Land der Welt durchgeführt.

Bildung entscheidend

In einem zweiten, empirischen Teil des ERC-Projekts haben die Forscher in zahlreichen Fallstudien untersucht, wie sich der Bildungsstand auf die Verletzlichkeit einer Gesellschaft durch Naturkatastrophen auswirkt. „Wir konnten zeigen, dass der Bildungsstatus noch viel mehr als das Einkommen der entscheidende Faktor in der adaptiven Fähigkeit von Gesellschaften ist“, so Lutz.

Anstatt den naiven und eigentlich falschen Ansatz zu wählen, Klimaprognosen mit dem aktuellen Zustand einer Gesellschaft zu verbinden, würden die nun entwickelten Modelle die Möglichkeit bieten, vorherzusagen, wie sich eine Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten im Hinblick auf ihre Verwundbarkeit bzw. adaptiven Fähigkeiten entwickeln wird.

Wissenschaftliche Berater

Auch nach Auslaufen des ERC-Projekts wird Lutz nicht langweilig: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat kurz vor Ende seiner Amtszeit eine Gruppe von 15 weltweit ausgewählten Wissenschaftlern eingesetzt, die den nächsten „Sustainable Development Report“ erstellen soll. Nach Nominierung durch die österreichische Regierung wurde Lutz für diese Expertenrunde ausgewählt.

Vorgelegt werden soll das Dokument beim Treffen der Staats- und Regierungschefs 2019 zur Evaluierung der Nachhaltigen Entwicklungsziele. „Das Bemerkenswerte daran ist, dass erstmals in der UN-Geschichte eine externe Wissenschaftergruppe beauftragt wurde, einen völlig unabhängigen Bericht der Generalversammlung vorzulegen, der nicht den üblichen Prozess der Verhandlungen und Abgleichungen mit Regierungen durchlaufen soll“, sagte Lutz.

science.ORF.at/APA

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