„Scheitern ist keine Option“

Das „Human Brain Project“, eines der großen Forschungsvorhaben der EU, wird mit mehr als einer Milliarde Euro gefördert. Nach dreieinhalb Jahren und heftiger interner Kritik hat das Projekt nun wieder Fahrt aufgenommen. Erste wissenschaftliche Erfolge sprechen dafür.

Es wiegt nur rund eineinhalb Kilo, doch das menschliche Gehirn hat es in sich. In unserem Denkorgan befinden sich 5,8 Millionen Kilometer Nervenbahnen. Und vieles, was in und zwischen den Nervenzellen passiert, versteht die Forschung heute noch nicht. Trotz dieser Unsicherheiten hat man sich ein großes Ziel gesteckt: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Human Brain Project (HBP) wollen das menschliche Gehirn nachbauen, in Form einer Computersimulation.

Hirn zu komplex für Experimente

Denn, so der Österreichische Vertreter im HBP-„Stakeholder Board“ , Alois Saria, nur so könne man die komplexen Vorgänge im menschlichen Gehirn besser verstehen. Viele neuronalen Vorgänge ließen sich in Experimenten nicht erforschen, ergänzt der Neurowissenschaftler. Computermodelle, die auf biologischen Daten basieren, sollen etwa komplexe Netzwerkfunktionen, an denen viele tausende Nervenzellen beteiligt sind, sichtbar machen.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 3.4., 13:55 Uhr.

„Wenn wir zum Beispiel vor einer Entscheidung stehen, dann fließen immer aktuelle Sinneswahrnehmungen mit ein, Emotionen, Erinnerungen, Erlerntes, alles, was in unserem Gehirn gespeichert ist“, erläutert Saria. Deswegen seien selbst einfache Entscheidungsprozesse neuronal so schwer zu verstehen.

Grazer Modelle bereits im Einsatz

Ein Ziel des Human Brain Project ist es, eine digitale Forschungsinfrastruktur zu schaffen. Diese Computermodelle bzw. -plattformen sollen dann nach Ende des Flaggschiffprojektes der gesamten Wissenschaftscommunity zur Verfügung stehen. Mathematische Modelle, die eine Arbeitsgruppe der Technischen Universität Graz erarbeitet hat, fließen bereits in das Projekt ein.

Der Mathematiker Wolfgang Maass und sein Team arbeiten an Rechenmodellen, die es ermöglichen sollen, Abläufe in neuronalen Netzwerken theoretisch zu beschreiben. „Diese Modelle finden bereits Eingang in neue Computerarchitekturen, sogenannte neuromorphe Architekturen, die die Projektpartner an der Universität Heidelberg entwickeln“, so Saria.

„Scheitern ist keine Option“

Auch wenn das Projekt dreieinhalb Jahre nach Beginn gut im Zeitplan liegt, sei der Druck auf alle Beteiligten groß, sagt Alois Saria. Natürlich müsse man auch bei kleinen Einzelprojekten Abschlussberichte vorlegen und genau aufschlüsseln, wie die Förderungen verwendet wurden. Doch beim HBP sei das öffentliche Interesse ungleich größer, so der Neurowissenschaftler. Das erhöhe auch den Druck auf die politischen Entscheidungsträger.

Alois Saria ist auf jeden Fall optimistisch, dass das Flaggschiffprojekt der EU 2023 zu einem positiven Abschluss gebracht wird. „Scheitern ist keine Option, weil ganz sicher neue Erkenntnisse im Rahmen der Grundlagenforschung gewonnen werden“, ist der Neurowissenschaftler überzeugt. Dass man das Gehirn am Ende des HBP „verstehe“, sei unrealistisch. Aber das Projektziel, das zwischenzeitlich umformuliert wurde, zu erreichen, sei sehr wohl realistisch: eine Forschungsinfrastruktur in Form einer neuartigen Computerarchitektur aufzubauen.

Interne Kritik verstummt

Zu den 116 Institutionen, die am HBP mitwirken, gehören neben der Universität Innsbruck und der Technischen Universität Graz auch das IST Austria. Die personellen Probleme, mit denen das Großprojekt zwischenzeitlich zu kämpfen hatte, scheinen überwunden. Im Juli 2014 hatten 154 Wissenschaftler in einem offenen Brief Kritik am Management geäußert.

In den Monaten darauf schlossen sich weitere 600 den Beschwerden an: Der wissenschaftliche Ansatz des HBP sei zu eng gefasst, die Organisationsstruktur zu hierarchisch. Nach einer erfolgreichen Mediation und Umstrukturierung ist nun wieder Ruhe eingekehrt. „Das Projekt ist jetzt transparenter und demokratischer aufgestellt, als davor“, so der Innsbrucker Neurowissenschaftler.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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