Jenseitig: Der Quantengott der Lotte Ingrisch

Die Quantenphysik mit ihren bizarren Phänomenen eignet sich hervorragend für den Missbrauch durch Esoterik, viel Quantenquatsch wird da verzapft. Die Autorin Lotte Ingrisch legt nun mit ihrem neuen Buch „Der Quantengott. Dialog über eine Physik des Jenseits“ nach.

Das wäre keiner Erwähnung wert, wäre nicht der renommierte Physiker Helmut Rauch Dialogpartner. Als „Verlobung von Physik und Metaphysik“ bezeichnet Lotte Ingrisch ihr Buch. Darin übernimmt sie den aktiven Part und trägt über weite Strecken das mehr als 200-seitige Werk. Da wird viel mit Toten gesprochen, Astralreisen werden unternommen, telekinetische Phänomene beschrieben, durch Wände gegangen, Dämonen gesichtet und so weiter.

Das Buch

Lotte Ingrisch, Helmut Rauch: „Der Quantengott. Dialog über eine Physik des Jenseits“, Verlag Nymphenburger; Buchpräsentation: 6. April 2017, 19.00 Uhr, ORF RadioKulturhaus, Wien 4., Argentinierstraße 30a

So weit, so bekannt. Ungewöhnlich sei es, und das räumt auch Helmut Rauch ein, dass eine Schriftstellerin und ein Physiker gemeinsam ein Buch schreiben und dabei einen „Bogen von der Mystik bis zu den Naturwissenschaften schlagen“. Rauch zählt immerhin zu den renommiertesten Wissenschaftlern Österreichs, hat herausragende Beiträge zur Neutronen- und Quantenphysik geleistet.

“Verschränkung von Toten und Lebenden“

1974 gelang es Rauch am Atominstitut in Wien, erstmals ein sogenanntes Neutronen-Interferometer zu realisieren, ein bahnbrechendes, oft als nobelpreiswürdig bezeichnetes Experiment. Er konnte damit nachweisen, dass nicht nur Lichtteilchen Welleneigenschaften besitzen, sondern - wie von der Quantenphysik vorhergesagt - auch massive Teilchen wie Neutronen.

Ingrisch kann sich über solche Phänomene begeistern, dass es eine Freude wäre - würde sie nicht sofort mit jeder Erklärung Rauchs die metaphysische Kurve kratzen. Die Verschränkung etwa, jenes quantenphysikalische Phänomen, bei dem Teilchen über beliebige Distanzen hinweg miteinander verbunden bleiben, fasziniert sie: „Denn es beweist, was ich immer wieder versichere, und die Quantenphysik bestätigt es: Tote und Lebende sind verschränkt!“

Stichwortgeber statt Kritiker

Rauch betont zwar, mit dem Buch zu versuchen, „mystische Erscheinungen, für deren Beobachtung und Untersuchung Lotte Ingrisch bekannt ist, einer naturwissenschaftlichen Kritik zu unterziehen“. Sehr kritisch geht der Physiker, den offensichtlich eine längere Freundschaft mit der Autorin verbindet, aber nicht mit den paranormalen Schilderungen der Autorin um.

Einmal sieht er in Ingrischs Äußerungen „poetische, aber keine naturwissenschaftlichen Definitionen“, kann als Physiker etwas „nicht unterschreiben“, fragt sich, warum bei Gesprächen mit dem Jenseits nie ein Tonband mitläuft, oder vermisst Begriffsdefinitionen.

Anstatt als Naturwissenschaftler all das esoterische und parawissenschaftliche Geschwurbel in die Schranken und weit von sich zu weisen, betätigt sich Rauch eher als Stichwortgeber, etwa wenn er meint, dass es viele Phänomene gebe, „für die wir (bisher) überhaupt keine Antennen haben“ oder dass „‚Leben‘ und ‚Tod‘ zwei (Quanten-) Zustände sind, zwischen denen es Übergänge gibt.“

“Austausch von Physik und Metaphysik“

Und wenn Ingrisch schildert, dass ihr verstorbener Mann Gottfried von Einem einmal gehört habe, wie sein tausend Kilometer entfernter Lehrer gestorben sei, führt Rauch solche Erfahrungen „auf nichtlokale Fernwirkungen“ zurück und weist auf „existierende Verschränkungen“ hin. Das ist natürlich Grander-Wasser auf Ingrischs Mühlen.

In Zeiten der Bedrohung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch „alternative Fakten“ und andere Feinde, in denen sich Wissenschaftler genötigt sehen, auf die Straße zu gehen, verfolgt Rauch einen falschen Ansatz: Statt klare Grenzen zu setzen, sieht er ein „wichtiges Anliegen“ des Buchs erfüllt, „wenn damit die Differenzen zwischen Naturwissenschaft und Jenseitsdenken für den Leser spürbar abgebaut werden können und sich die Chancen eines Austauschs von Physik und Metaphysik etwas erhellt haben“.

Christian Müller/APA

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