Dänische Babys schreien am wenigsten

Dänische Babys schreien viel seltener als kanadische oder italienische. Das zeigt der erste Ländervergleich in Sachen Babygeschrei-Statistik. Im Schnitt über alle Länder hinweg schreien Neugeborene in den ersten sechs Wochen zwei Stunden pro Tag.

Daten aus Österreich standen für die Untersuchung nicht zur Verfügung. „Es ist aber davon auszugehen, dass sich Österreich im Mittelwert befindet“, sagt der Studienautor und Psychologe Dieter Wolke von der Universität Warwick gegenüber science.ORF.at.

Ursachen für die unterschiedliche Schreidauer gebe es zahlreiche, etwa die Art der Fütterung: Flaschenkinder wachten nachts zum Beispiel weniger oft auf als gestillte Babys, die tägliche Gesamtschreizeit vermindere sich dadurch.

Von 30 Minuten bis fünf Stunden

Die Mittelwerte über alle neun untersuchten Länder – Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Australien, USA, Italien, Niederlande und Japan – hinweg: Babys schreien in den ersten vier bis fünf Wochen zwei Stunden pro Tag. Mit sechs Lebenswochen erreicht die Schreidauer mit zwei Stunden und 15 Minuten ihren Höhepunkt, danach flacht sie auf 70 Minuten pro Tag ab.

In Großbritannien, Italien, Kanada und den Niederlanden lärmen die Babys im Mittel mehr als die in Dänemark, Deutschland und Japan. In Deutschland sind es bei einem ein bis zwei Wochen alten Baby im Mittel 69 Minuten täglich und bei einem drei bis vier Wochen alten Kind 81 Minuten. Für kanadische Babys wurde für das Alter von drei bis vier Wochen ein Mittelwert von 150 Minuten erfasst, ebenso für die Niederlande.

Wolke und seine Kollegen haben das Verhalten in den ersten drei Lebensmonaten untersucht. Und zwar anhand von 28 bereits früher erschienenen Studien, in denen Eltern das Verhalten von fast 8.700 Kindern in einem „Schreitagebuch“ aufgezeichnet haben. „Dabei zeigen sich nicht nur Unterschiede zwischen den Ländern, sondern auch eine große Variation innerhalb der Länder“, betont Wolke. „Manche Babys schreien nur 30 Minuten pro Tag, andere fünf Stunden.“

Warum dänische Kinder am ruhigsten sind

Besonders auffällig sei Dänemark, in dem die Neugeborenen konsistent ruhiger sind als in den anderen Ländern. Wolke sieht dafür mehrere Erklärungen: Erstens seien dänische Eltern entspannter. „Sie machen sich weniger schnell Sorgen, wenn ihr Kind schreit. Sie warten erst einmal ein bis zwei Minuten ab, ob es sich von selbst beruhig“, sagt der Psychologe. Auch sei Körperkontakt in Dänemark weiter verbreitet.

„Zweitens kann auch die Populationsgenetik eine Rolle spielen.“ Wolke verweist etwa auf die unterschiedliche Verteilung von Extraversion Erwachsener in nördlichen und südlichen Ländern – Unterschiede, die schon im Babyalter eine Rolle spielen könnten.

Drittens wirke sich auch der Stress während der Schwangerschaft aus. „Studien zeigen, dass Mütter bei größerem Stress mehr Stresshormone (Cortisol ) an ihre Kinder abgeben. Nach der Geburt schreien diese dann länger“, so Wolke. Soziale Unterstützung wie Mutterschutz und Karenzzeiten oder – die in Dänemark mögliche – Papa-Auszeit mindern den Stress. „Das könnte helfen, dass Eltern etwas ruhiger mit dem Kind umzugehen.“

40 Prozent nicht beruhigbar

Generell warnt der Psychologe aber davor, das Schreien der Babys immer auf das Verhalten der Eltern zurückzuführen. „40 Prozent des Schreiens ist durch sie nicht beruhigbar“, sagt Wolke. „Eltern denken oft, dass sie etwas falsch machen oder dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung ist, wenn sie es nicht gleich beruhigen können.“

Für genervte Eltern hat der Experte einen Ratschlag parat. „Wenn Eltern durch das Geschrei ihrer Kinder selbst entnervt und wütend werden, sollten sie das Kind zur Seite an einen sicheren Platz legen, und sich selbst beruhigen. Wer unruhig ist, kann auch kein Baby beruhigen.“

Schütteln als Folge von Überforderung

Manchmal sind Eltern von schreienden Babys so überfordert, dass sie schwere Fehler machen. Eine ganz wichtige Erkenntnis sei, dass in über 85 Prozent der Fälle eines Schüttelsyndroms exzessives Schreien der Auslöser für das Schütteln war, erklärte Wolke.

Bei etwa 30 von 100.000 Babys komme es Studien zufolge wegen heftigen Schüttelns zur Krankenhauseinlieferung, meist gebe es schwerwiegende Folgen wie den Tod oder eine Behinderung des Kindes. „Daher sollten Sorgen von Eltern hinsichtlich des Schreiens ernstgenommen werden.“

Für die eigene Psyche sei es für Eltern wichtig zu wissen, wie viel ein normales Baby schreit. Selbst in Geburtsvorbereitungskursen werde darauf leider kaum eingegangen, sagte Wolke. In Elternratgebern sei oft beschrieben, dass man den Schreiton bei Hunger, Schmerz oder Langeweile unterscheiden könne. Das habe keinerlei wissenschaftliche Basis. „Man kann nur die Intensität unterscheiden.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, Material: dpa

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