Celebritys gab es schon im 19. Jahrhundert

Celebritys hat es schon vor 150 Jahren gegeben, mit ähnlichem Status wie heute. Das zeigen neue Studien zu Benjamin Disraeli (1804-1881): Der britische Romanautor und Premierminister weist Parallelen zu US-Präsident Donald Trump auf.

Die österreichische Literaturhistorikerin Sandra Mayer hat im Rahmen eines Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF am Oxford Centre for Life-Writing im Nachlass Disraelis geforscht, der zwei Mal konservativer Premierminister (1868 und 1874 bis 1880) im Viktorianischen England war.

Bereits in jungen Jahren, aber auch parallel zu seinem politischen Wirken war er populärer Romanautor, seine Politkarriere ungewöhnlich für die damalige Zeit: Der getaufte Jude war kein Aristokrat, hatte keine Elite-Ausbildung, dafür eine vergleichsweise anrüchige Karriere als Schriftsteller, verhielt sich wie ein Dandy und war mit einer zwölf Jahre älteren Witwe verheiratet.

Zusammenspiel von Politik, Medien und Person

„In zeitgenössischen Karikaturen wird er als geheimnisumwitterte Sphinx dargestellt, um das Mysterium seines ungewöhnlichen Aufstiegs in die Elite zu verdeutlichen“, so Mayer in einer Aussendung des FWF. Als populärer Autor bekam Benjamin Disraeli Fanpost und war gleichzeitig auf Politikseiten präsent.

Die Wissenschaftlerin, die ihre Ergebnisse im „Journal of Victorian Culture“ veröffentlicht hat, sieht Disraeli als Repräsentant eines neuen, mit dem frühen 19. Jahrhundert an Bedeutung gewinnenden Typus: Er habe sein Image inszeniert und versucht, Einfluss auf sein öffentliches Bild zu nehmen.

Gleichzeitig hätten Medien und Gesellschaft auf ihn zurückgewirkt. Mayer erkennt darin bereits die Wurzeln einer „Literary Celebrity“, also das Zusammenspiel von Politik, Medien, Literatur und Person. Die Mechanismen der damaligen Celebrity-Kultur würden sich dabei kaum von den heutigen unterscheiden.

Celebrity-Kapital für Politik genutzt

Geholfen hat dabei der technologische Fortschritt, der ab 1850 erstmals Massenmedien und Konsumkultur ermöglichte. Fotografien machten es zudem möglich, Menschen wiederzuerkennen. Dazu kamen Bestandteile einer aufkommenden Fankultur wie Autogrammkarten, Homestorys, Reiseführer zu den Spuren von Celebrities und Museen zur Würdigung von Autoren. Nur Anzahl und Art der Medienkanäle sowie die Verbreitungsgeschwindigkeit hätten sich von heute unterschieden.

Schon um 1850 war es der Leserschaft wichtig, private Facetten von Autoren kennenzulernen und hinter die Maske des Politikers zu blicken, betont die Literaturhistorikerin. Disraelis populäre Romane, angelehnt an seine eigene Biografie und bekannte Menschen seiner Zeit, seien als autobiografisch rezipiert worden, zeigte die Auswertung seiner Fanpost. Dennoch habe die bewusste Steuerung seines Bildes in der Öffentlichkeit Grenzen gehabt. So war er Zeit seines Lebens antisemitischen Angriffen und Klischees ausgesetzt.

Gelungen ist ihm aber eine sogenannte „field migration“: „Er war in einem Feld etabliert und konnte sein Celebrity-Kapital nutzen, um in einem anderen Feld zu reüssieren“, seine Prominenz in den Bereichen Kultur und Politik hätten sich gegenseitig befeuert, vergleicht die Literaturhistorikerin Disraelis Karriere etwa mit den US-Präsidenten Ronald Reagan und Donald Trump.

science.ORF.at/APA

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