Vollkorn ist nicht immer gesünder

Vollkorn- oder Weißbrot? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie eine neue Studie zeigt. Offenbar reagieren Menschen unterschiedlich auf das Grundnahrungsmittel. Manchen bekommt die helle, anderen die dunkle Variante besser.

Für Milliarden Menschen ist Brot das Grundnahrungsmittel schlechthin, in unserem Kulturkreis liefert es etwa zehn Prozent der Kalorien, die ein Erwachsener täglich zu sich nimmt. Meist besteht es aus Weizen, der vor ungefähr 10.000 Jahren kultiviert wurde. Brot wird daraus seit mindestens 6.000 Jahren gemacht. Denn es ist einfach zuzubereiten und seine Zutaten sind leicht zu lagern.

Trotz seiner langen Geschichte hat das an Kohlenhydraten reiche Lebensmittel heute nicht mehr den besten Ruf. Es gilt als Dickmacker. Vor allem weißes Brot wie Semmeln habe außer „leeren“ Kalorien nicht viel zu bieten, heißt es in modernen Ernährungsratgebern. Wenn schon Brot, dann solle man zumindest zu einer dunklen bzw. Vollkornvariante greifen. Diese enthält mehr Ballaststoffe, Mineralien und Spurenelemente. Außerdem wird das Brot häufig anstatt mit Bäckerhefe mit Sauerteig hergestellt. Auch das soll gesünder sein.

Was ist gesünder?

Die wissenschaftlichen Fakten sind jedoch nicht eindeutig, wie die Forscher um Tal Korem vom Weizmann Institut in ihrer aktuellen Arbeit schreiben. Das könnte unter anderem daran liegen, dass Brot heute oft noch eine Reihe anderer Zusatzstoffe enthält, die es z.B. haltbarer machen sollen. Gesundheitliche Effekte seien daher schwer messbar. Aber es könnte auch sein, dass die widersprüchlichen Ergebnisse durch den menschlichen Stoffwechsel zustandekommen.

Für die Studie hat das Team zwei konkrete Brotsorten verglichen: eine sehr „ungesunde“ Variante - ein abgepacktes Weißbrot aus dem Supermarkt - mit einer vermeintlich sehr gesunden - ein von einem kleinen Bäcker gebackenes Vollkorn-Sauerteig-Brot. Versuchskaninchen waren 20 gesunde Erwachsene.

Brot-Diät

Die Hälfte musste ein Woche lang 25 Prozent ihres täglichen Kalorienbedarfs aus Weißbrot decken, zuvor hatte ihre Ernährung nur zu zehn Prozent aus Brot bestanden. Die andere Gruppe erhielt dieselbe Vorgabe mit dem Vollkorn-Sauerteig-Brot. Andere Weizenerzeugnisse wie Nudeln sollten alle Teilnehmer in diesem Zeitraum nicht konsumieren. Nach einer zweiwöchigen Pause tauschten die Gruppen ihr Ernährungsprogramm.

Während der ganzen Zeit wurden Stuhlabstriche untersucht und regelmäßig diverse Blutwerte gemessen: Blutzucker, Mineralstoffe, Cholesterin, Entzündungswerte, etc. Die ersten Ergebnisse waren ernüchternd: Die unterschiedlichen Ernährungsweisen hatte im Durchschnitt keinerlei Auswirkungen. Auch die Bakterienzusammensetzung im Darm blieb die ganze Zeit völlig unverändert.

Der Darm entscheidet

Bei genauerem Hinschauen entdeckten die Forscher dennoch Unterschiede, und zwar bei der glykämische Reaktion auf das Brot, also bei den Veränderungen des Blutzuckerspiegels. Gängigen Theorien zufolge lassen manche kohlenhydratreiche Lebensmittel den Blutzuckerspiegel besonders rasch ansteigen, während andere nur langsam in den Blutkreislauf gelangen. Aus gesundheitlichen Gründen ist letzteres wünschenswert. Aber - so das überraschende Ergebnis des zweiwöchigen Brottests - wie stark der Blutzucker nach der Aufnahme bestimmter Lebensmittel steigt, dürfte viel weniger vom jeweiligen Nahrungsmittel abhängen als von der Person, die es zu sich nimmt.

Denn die Probanden reagierten recht unterschiedlich, bei ungefähr der Hälfte stieg der Blutzucker weniger rasant, wenn sie Weißbrot gegessen hatten, bei der anderen Hälfte war genau das Gegenteil der Fall.

Die unterschiedlichen körperlichen Reaktionen dürften ihre Ursache im Darm bzw. in den dort lebenden Bakterien haben - denn Menschen mit ähnlichem Mikrobiom hatten auch ähnlich auf das jeweilige Brot reagiert. Die Forscher vermuten, dass sich das nicht nur bei Brot so verhält. „Verschiedene Menschen reagieren einfach verschieden, sogar auf das identische Essen“, so Koautor Eran Elinav in einer Aussendung. Ernährungsrichtlinien, die für alle gelten, gebe es wahrscheinlich viel seltener als gedacht. Vielleicht läge die Lösung im Darm: In Zukunft könnte eine Analyse der Bakterien eine optimale Ernährung möglich machen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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