Schon Ungeborene reagieren auf Gesichter
Wenn ein Baby das Licht der Welt erblickt, sieht es vorerst alles verschwommen - erst im Lauf der ersten Monate nimmt die Umwelt scharfe Konturen an. Aber auch wenn sie noch keine Feinheiten wahrnehmen können, schauen sie schon in den ersten Lebensminuten lieber Gesichter an oder Dinge, die entfernt einem Gesicht ähneln. So ist z.B. jeder Kreis, in dem sich mehr Symbole in der oberen Hälfte als in der unteren Hälfte befinden, für Säuglinge interessanter als eine umgekehrte Anordnung.
Die Studie
„The Human Fetus Preferentially Engages with Face-like Visual Stimuli“, Current Biology, 8.6.2017
Forscher gehen davon aus, dass eine rasche Gesichtserkennung schon für unsere Vorfahren überlebenswichtig war, um Tiere und Menschen von ihrer Umwelt zu unterscheiden. Vieles spricht dafür, dass die Fähigkeit tatsächlich angeboren ist und sich von der Wahrnehmung gewöhnlicher Objekte fundamental unterscheidet. Einen weiteren Beleg lieferten nun die Forscher um Vincent M. Reid von der Lancaster University.
Blick aus der Gebärmutter
Wie sie in ihrer aktuellen Studie schreiben, weiß man mittlerweile, dass sich der Sehsinn schon im Mutterleib entwickelt, besonders im letzten Drittel der Schwangerschaft. Davor sind die Augen des Fötus noch geschlossen. Außerdem wisse man heute mehr über die Lebensbedingungen in der Gebärmutter. Unter anderem sei es dort viel heller, als man lange angenommen hat. Dieser Umstand gemeinsam mit den Möglichkeiten neuer bildgebender Verfahren brachte die Forscher auf die Idee, die Sehfähigkeit bereits im Uterus zu testen.

Kirsty Dunn & Vincent Reid
Ultraschallaufnahmen von Ungeborenen
Dafür projizierten sie Lichtpunkte auf den Bauch von 39 Schwangeren in der 34. Woche. Manchmal glich die Anordnung der Punkte einem Gesicht, mit zwei Punkten oben und einem unten, manchmal war sie genau umgekehrt - ähnliche Muster wurden bisher auch in Experimenten mit Neugeborenen verwendet.
Während die Forscher das Licht langsam über das Gesichtsfeld der Ungeborenen führten, zeichnet sie deren Reaktionen mittels hochauflösendem 4-D-Ultraschall auf. Und allem Anschein nach konnten die Ungeborenen die Lichtmuster tatsächlich durch die Bauchdecke der Mutter sehen, wie die Reaktionen auf den Aufnahmen zeigten.
Unterschiedliche Reaktionen
Sie reagierten aber nicht auf alle optischen Reize in gleicher Weise. Wenn die Anordnung einem Gesicht glich, drehten sich die Köpfe der Babys öfter in Richtung der Lichtpunkte. Im umgekehrten Fall drehten sie sich hingegen etwas häufiger weg. Sie verhielten sich also recht ähnlich wie Neugeborene. Die Unterschiede waren statistisch signifikant, wie die Forscher schreiben.
Das spreche dafür, dass die Präferenz für Gesichter schon vor der Geburt angelegt ist. Außerdem bestätigen die Ergebnisse, dass schon Ungeborene sehen können und daher schon im Mutterbauch optische Erfahrungen sammeln. Von Lichtexperimenten sollten werdende Mütter dennoch absehen, wie Reid in einer Aussendung rät.
Eva Obermüller, science.ORF.at