Interesse an Suizid stieg nach Serie

Seit Monaten sorgt die Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ für Diskussionen. Die Geschichte eines Suizids gefährde labile Jugendliche, meinen Kritiker. Eine Auswertung von Google-Suchanfragen zeigt: Das Interesse an Suizid ist nach Serienbeginn tatsächlich gestiegen.

13 Folgen lang beleuchtet die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ (im Original „13 Reasons Why“) die Hintergründe und Umstände eines Selbstmords. Über Audiokassetten - aufgezeichnet von der Schülerin Hannah kurz vor ihrem Freitod - erfahren der Protagonist Clay und die Zuseher nach und nach, warum sie keinen anderen Ausweg sah: Enttäuschungen, Mobbing, sexuelle Gewalt und letztlich völlige Verzweiflung stehen am Ende einer Suche nach Nähe und Freundschaft.

Am 31. März dieses Jahres ging die Serie online und löste unter Jugendlichen einen regelrechten Hype aus. Auch Filmkritiker zeigten sich begeistert von der erzählerischen Kraft der Miniserie. 8,5 von zehn Punkt erreicht sie im Rating der Internet Movie Database.

Kritik an explizitem Inhalt

Aber auch die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Das Drama gefährde die jugendlichen Zuseher, befürchten Psychologen und Pädagogen weltweit. Die romantisierende Darstellung der Heldin, die scheinbare Ausweglosigkeit und nicht zuletzt die explizite Bebilderung der Tat animiere labile Jugendliche zur Nachahmung, Stichwort Werther-Effekt. Demnach steigt die Zahl der Selbsttötungen, wenn ausführlich bzw. unangemessen über eine solche berichtet wurde.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.

Weitere Ansprechpartner

bittelebe.at (für Jugendliche)

Suizidprävention (für alle Altersgruppen)

Verschärft werde das Problem durch den exzessiven Konsum. Viele Jugendliche konsumieren die Serie am Stück oder in nur wenigen Tagen und tauchen dabei völlig in die Welt der Protagonisten ein. Ärzte, Psychologen und Therapeuten fordern mittlerweile sogar ein Verbot. In Österreich hat sich der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie erst kürzlich ebenfalls dafür ausgesprochen.

Die Macher von „Tote Mädchen lügen nicht“ halten dagegen. Ihre Absicht sei es vielmehr gewesen, das Bewusstsein für die Notlage von jungen Menschen zu schärfen und damit genau solche dramatischen Endpunkte zu verhindern. Und gerade die Szene, die den langsamen und qualvollen Tod des Mädchens zeigt, sollte vor allem eins, nämlich abschrecken.

Klarer Trend bei der Suche

Zur der Debatte gibt es nun erstmals Zahlen. Mit Hilfe von Google Trends haben sich die US-Forscher um John W. Ayers von der San Diego State University angeschaut, ob und wie sich die Serie auf das Suchverhalten der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner ausgewirkt hat, unmittelbar nach der Veröffentlichung vom 31. März bis zum 18. April. Am 19. April brachen sie die Analyse ab. Ein prominenter Football-Spieler hat sich an diesem Tag das Leben genommen - ein Umstand, der den Trend verzerrt haben könnte.

Tatsächlich wurde in den 19 Tagen um 19 Prozent häufiger nach „Suizid“ gesucht als in vergleichbaren Zeiträumen, an einzelnen Tagen sogar um 44 Prozent häufiger. Laut den Forschern sind das insgesamt bis zu 1,5 Millionen mehr Suchanfragen zum Thema als sonst üblich.

In der Folge analysierten sie die Anfragen im Detail. Einerseits wurde häufiger als sonst nach Prävention und Hotlines gesucht, aber noch deutlicher stiegen Anfragen wie „wie man sich umbringt“ und „wie man Suizid begeht“ - laut den Forschern Indizien für vermehrte Suizidgedanken. Ob tatsächlich mehr Selbsttötungen bzw. Versuche stattfanden, ist noch nicht erhoben.

Richtlinien zur Darstellung

„Es ist ermutigend, dass die Veröffentlichung der Serie das Interesse an der Prävention eindeutig erhöht hat“, so Ayers in einer Aussendung. „Aber unsere Ergebnisse untermauern auch die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker. Denn - wie es aussieht - haben mehr Menschen als sonst versucht herauszufinden, wie man sich umbringt.“

Hinweis

Leitfaden zur Medienberichterstattung (Kriseninterventionszentrum)

Laut den Forschern könnte der mögliche Schaden abgewendet werden, wenn sich eine Serie wie „Tote Mädchen lügen nicht“ an die gängigen Medienstandards halten würde. Diesen widerspricht etwa die ausführliche Darstellung der Selbsttötung, auch werden keinerlei Auswege aus der unglücklichen Situation aufgezeigt. Zumindest am Ende einer Episode könnte man Anlaufstellen auflisten, das ließe sich sogar jetzt noch ergänzen. Derzeit wird eine weitere Staffel der umstrittenen Serie fertiggestellt, die im Herbst online gehen soll. Die Forscher appellieren an die Produzenten, die Richtlinien dieses Mal zu berücksichtigen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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