Der kleinste Detektor der Welt

Üblicherweise kommt man den schwer fassbaren Neutrinos nur mit riesigen Detektoren auf die Spur. Nun haben Forscher eine Miniapparatur entwickelt, mit der sie eine besonders unscheinbare Wechselwirkung nachweisen konnten - über 40 Jahre nach ihrer Vorhersage.

Sie sind überall, aber dennoch schwer zu fassen - Neutrinos, winzige elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr geringer Masse. Sie durchströmen das Weltall fast mit Lichtgeschwindigkeit, aber kommen kaum in Berührung mit Materie. Schon 1930 schlug der österreichische Physiker Wolfgang Pauli die vorerst hypothetische Existenz des flüchtigen Teilchens mit schwacher Wechselwirkung vor. Der erste Nachweis folgte erst 1956 - einer der damaligen Experimentleiter, Frederick Reines, erhielt später (1995) den Nobelpreis für Physik.

Heute versucht man üblicherweise mit riesigen, oft viele Tonnen schweren Detektoren des Elementarteilchens habhaft zu werden. Typischerweise interagieren Neutrinos mit einzelnen Protonen oder Neutronen innerhalb des Atomkerns. Längst sind nicht alle theoretischen Wechselwirkungen mit Materie nachgewiesen. Eine davon wurde schon 1974 vom US-amerikanischen Physiker Daniel Freedman vorhergesagt, nämlich die Kollision mit einem kompletten Atomkern.

Subtile Spuren

Nach 43 Jahren ist der Nachweis nun geglückt, im Rahmen der internationalen COHERENT Collaboration, an der 80 Forscher aus vier Nationen beteiligt sind. Dabei hinterlässt das Aufeinandertreffen von Neutrino und Kern nur extrem subtile Spuren - die Forscher vergleichen das mit einem Tischtennisball, der auf eine Bowlingkugel trifft: Der Aufprall geht an letzterer fast unmerklich vorüber.

Indem man für den Detektor sehr schwere Elemente wie Jod, Caesium oder Xenon verwendet, erhöht sich die Chance, die Kollision dennoch nachzuweisen. Sind die Atomkerne allerdings zu schwer, wird der Nachweis aber wieder schwierig, erklären die Forscher in einer Aussendung.

Juan Collar von der University of Chicago zeigt einen Prototypen des Minidetektors

Jean Lachat / University of Chicago

Juan Collar, Physiker an der University of Chicago, mit einem Prototypen des Detektors

Fakten

Neutrinos entstehen auf verschiedenen Wegen: Manche existieren seit dem Urknall, andere werden erzeugt, wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre prallt. Auch die Sonne ist eine Quelle für Neutrinos. Sie sind die zweithäufigsten Elementarteilchen im Universum, nach den Photonen. Drei Arten sind bekannt: Elektronen-Neutrinos, Myon-Neutrinos und Tau-Neutrinos.

Der nun verwendete Detektor ist im Vergleich zu allen anderen Neutrino-Experimenten extrem klein - nicht viel größer als ein Toaster und nur 14,5 Kilogramm schwer. Dass der Nachweis nach einem Jahr dennoch geglückt ist, liegt vor allem an der Neutronenquelle, die die Wissenschaftler verwendet haben: die Spallation Neutron Source am Oak Ridge National Laboratory im US-Bundesstaat Tennessee.

In der „Neutrino-Gasse“

Sie produziert einen pulsierenden Neutronenstrahl von enormer Intensität. Quasi als Nebenprodukt entstehen auch jede Menge Neutrinos. Der laut den Forschern recht simple Detektor wurde in einer Entfernung von nur 20 Metern in einem unterirdischen Gang aufgebaut. Diese „Neutrino-Gasse“ ist von einem dicken Mantel aus Eisen und Beton umgeben - er hält andere Teilchen und vor allem die Neutronen fern, damit sie die Messung des flüchtigen Ereignisses nicht stören.

Oak Ridge National Laboratory

Oak Ridge National Laboratory, U.S. Dept. of Energy; photographer Jason Richards

Oak Ridge National Laboratory

Die neuen Daten könnten den Forschern helfen, einige der ungelösten Fragen rund um Neutrinos zu klären. Zum Beispiel, warum sie anscheinend Teilchen und Antiteilchen in einem sind. Oder dabei, ihre Masse zu bestimmen - denn heute wisse man zwar, dass sie eine (sehr geringe) haben, aber nicht welche. Auch praktischere Anwendungen sind nach den erfolgreichen Experimenten denkbar, so die Forscher: Kleine Detektoren, die die Entstehung von Neutrinos in Kernreaktoren von außen überwachen können.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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