Forscher warnen vor genmanipulierten Babys

Die Behebung von Gendefekten ist technisch machbar - auch in menschlichen Embryonen. Sollen künftig aus solchen Embryonen auch Kinder entstehen? Elf große Wissenschaftsorganisationen warnen nun vor Experimenten am Menschen.

Einen solchen Embryo in eine Frau einzusetzen und somit eine Schwangerschaft herbeizuführen, sei „derzeit unangemessen“, schreiben die Organisationen im „American Journal of Human Genetics“. Was Versuche im Reagenzglas angeht, sind die Wissenschaftler deutlich gelassener - und plädieren „mit angemessener Aufsicht und Zustimmung“ für eine Fortführung der Grundlagenforschung.

Die Erklärung - unterzeichnet unter anderem von der American Society of Human Genetics und der International Genetic Epidemiology Society - erscheint zufällig fast zeitgleich mit einer aufsehenerregenden Publikation zu ebenjenem Thema.

Erst gestern berichteten Forscher um den Biologen Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health & Science University von einem technischen Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin: Sie hatten menschliche Embryonen von einer erblichen Herzschwäche befreit - der erfolgreiche Eingriff löste internationales Echo aus, weil er den Weg zu einer Keimbahntherapie am Menschen ebnet. Beziehungsweise ebnen könnte, sofern man das will.

Keimbahntherapie technisch möglich

Das ist die entscheidende Frage: Keimbahntherapie bedeutet nämlich nicht nur, dass ein genetisch bedingter Krankheitsherd dauerhaft entfernt wird - was an sich wünschenswert ist. Sie bedeutet auch, dass sich sämtliche Änderungen im Erbgut von Embryonen an die nächsten Generationen weitervererben.

Kritiker wenden an dieser Stelle ein: Etwaige Nebeneffekte, wie zum Beispiel zunächst „stumme“ Mutationen, könnten erst in der nächsten oder übernächsten Generation zutage treten. Und träfe dies zu, müssten dann die Nachkommen mit einer genetischen Bürde leben, die Jahre zuvor von Wissenschaftlern in die menschliche Population eingeführt wurde.

Die Erklärung im „American Journal of Human Genetics“ geht zwar nicht explizit auf die aktuelle Arbeit von Mitalipov und seinen Kollegen ein. Gleichwohl eignen sich die Reaktionen darauf recht gut als Stimmungsbarometer in der Fachgemeinde.

Was die technische Seite anlangt, bedeuten die Experimente zweifelsohne einen Fortschritt. Sie zeigen, dass der künstliche Ersatz defekter Gene schon mit relativ hoher Trefferquote machbar ist und dabei etwa auch keine Mosaik-Embryonen entstehen (solche, die sowohl gesunde als auch kranke Zellen in sich tragen). Darüber wurde im Fachblatt „Nature“, wo Mitalipovs Studie erschien, im Detail berichtet.

Schleichender Stimmungswechsel

Nicht thematisiert wurde der schleichende Stimmungswechsel zum ethischen und gesellschaftspolitischen Hintergrund der Angelegenheit.

Als vor zwei Jahren chinesische Forscher den ersten Eingriff mit der Genschere CRISPR/Cas im Erbgut von menschlichen Embryonen vornahmen, war noch vom Überschreiten einer roten Linie die Rede. George Daley, Stammzellenforscher der Harvard Medical School in Boston, bezeichnete den Eingriff etwa als „ernstes Warnsignal“. Das Center for Genetics and Society in Berkeley forderte gar einen Stopp derartiger Versuche. Und nun?

Bei einer Pressekonferenz der Zeitschrift „Nature“ diskutierten Mitalipov und sein Team bloß über das Wie und das Wann möglicher Anwendungen am Menschen. So, als sei das Warum längst einem Konsens zugeführt worden.

Speed kills

Genau das stößt Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg sauer auf: „Gab es nach der ersten chinesischen Studie vor zwei Jahren noch weltweite Empörung und einen nahezu einhelligen Konsens, wenigstens auf die Implantation genmanipulierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitraum zu streiten, wann es denn so weit sei.“

Dabrock ist Theologe - und als solcher, so scheint es, nachdenklicher gestimmt als seine Kollegen aus anderen Fächern. In den Naturwissenschaften indes ist der Fortschritt so rasant, dass für kritisches Innehalten keine Zeit bleibt. Vielleicht systembedingt nicht einmal bleiben kann: Wenn im Rennen um Publikationen und Patente immer der Erste gewinnt, ist Innehalten bloß ein Wettbewerbsnachteil.

Robert Czepel, science.ORF.at

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