Innere Kraft macht Krieger stark

Sie fühlen sich ihren Werten verbunden, würden dafür sogar Angehörige opfern und glauben an die innere Kraft der eigenen Truppe - diese Eigenschaften verbinden besonders radikale Kämpfer aus allen Lagern, wie Befragungen in Syrien und dem Irak zeigen.

„Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“ (Gen 22,1–19) Abraham soll seinen eigenen Sohn opfern, so fordert es Gott in der berühmten Passage des Alten Testaments.

Im letzten Moment verhindert ein Engel die Bluttat. Abraham jedoch wird für seine Gottesfurcht belohnt. In allen großen Weltregionen - im Judentum, im Christentum und im Islam - spielt die Geschichte von Abraham eine Schlüsselrolle. Im Zentrum steht der Glaube an die höhere Sache, für die jedes Opfer - selbst ein Menschenleben - gerechtfertigt ist.

Unberechenbarer Kampfeswille

Diese Bereitschaft, für ein abstraktes Ideal alles zu geben und zu verlieren, kann Menschen sehr stark und extrem gefährlich machen, wie ein Blick in die Geschichte und in die Gegenwart zeigt. In bewaffneten Konflikten ist diese Eigenschaft mitunter wichtiger als die militärische Stärke, wie z.B. die USA in Vietnam schmerzhaft erfahren mussten.

Dass objektive Kampfstärke nicht alles ist, zeigen auch die Erfolge des sogenannten Islamischen Staats (IS) in den vergangenen Jahren. Als die terroristische Gruppierung 2014 große Gebiete des Irak und von Syrien unter ihre Kontrolle brachte, waren viele überrascht. Wie es Barack Obama damals ausdrückte „Wir haben den IS unterschätzt … der Wille zum Kampf ist unberechenbar.“

An der Front

Wie stark der Kampfgeist und die Opferbereitschaft in solchen Gruppierungen sind, zeigen nun die Untersuchungen der Forscher um Scott Atran von Artis International, eine internationale Forschungseinrichtung, die sich mit Gewalt und Konflikten beschäftigt.

Im Februar und im März 2015 führte das Team Interviews mit Kämpfern verschiedener Gruppen im Nordirak, darunter IS-Kämpfer in Gefangenschaft sowie Gegner des IS, z.B. Mitglieder der PKK, einer militanten kurdischen Untergrundorganisation, die um politische Autonomie kämpft. Ein Jahr später sprachen die Forscher in derselben Gegend mit anderen Gruppen, die gegen den IS kämpfen, z.B. mit Kurden aus der irakischen Armee. Zusätzlich führten sie Onlinebefragungen zum Zusammenhang zwischen Kampf- und Opferbereitschaft durch.

Furcht vor „heiligem“ Kampfgeist

Die Krieger mit den stärksten Überzeugungen waren laut den Forschern auch jene mit der größten Kampfbereitschaft - egal, ob ihre Werte wie bei den PKK-Mitgliedern säkularer oder wie bei den IS-Anhängern religiöser Natur waren.

Die Befragungen zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen drei Faktoren: der Bereitschaft zu extremen Opfern bis hin zum eigenen Leben, der starken Bindung an „geheiligte“ Werte und der Idee, dass die eigene Gruppe ideell viel stärker ist als die Gegner. Diese spirituelle oder ideologische Überlegenheit ist in den Augen der Kämpfer zudem viel wichtiger als körperliche Stärke. Tatsächlich fürchten sich auch die Gegner mehr vor diesem „heiligen“ Kampfgeist als vor physischen Kräften, wie die Befragungen ebenfalls deutlich machen.

Warum es manchen Gruppierungen „besser“ gelingt, ihre Mitglieder durch absolute Hingabe an eine politische oder religiöse Sache zu binden, kann die Studie nicht beantworten. Laut den Forschern ist und bleibt diese irrationale Stärke jedenfalls ein völlig unberechenbares Element im Kampf gegen radikale Gruppen und Terroristen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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