Freihandel unter Druck

Die USA waren die Vorreiter der Globalisierung, US-Präsident Donald Trump droht nun mit Strafzöllen und Einschränkungen des Freihandels. Ob der Protektionismus wirklich auf dem Vormarsch ist, erklärt der liberale Ökonom Gabriel Felbermayr.

Im science.ORF.at-Interview-spricht der gebürtige Oberösterreicher und Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft der CESifo in München über Arbeitsplatzvernichtung, globale Wertschöpfungsketten und darüber, was das mit BMW´s auf der 5th Avenue zu tun hat.

science.ORF.at: Vor 200 Jahren hat der englische Ökonom David Ricardo seine Freihandelstheorie publiziert. Sie besagt, dass der Handel zwischen zwei Ländern beiden nütze. Das bildet bis heute die Basis unseres Handelssystems. Kritiker behaupten von dieser Art des Freihandels profitieren nur Großunternehmen, viele Menschen aber würden dabei auf der Strecke bleiben.

Gabriel Felbermayr: Da ist oft die Rede von Arbeitsplatzvernichtung. Aber das stimmt nicht. Es werden eigentlich Arbeitsplätze geschaffen vor allem in Sektoren, die expandieren können. In anderen Sektoren, wo andere Länder wettbewerbsfähiger sind, werden Arbeitsplätze verloren gehen. Die Arbeitslosigkeit ist aber nichts, das man nur über Handelspolitik steuern kann. Das ist eigentlich eine Frage der Arbeitsmarktpolitik.

Machen es sich da liberale Ökonomen nicht einfach und ignorieren negative Effekte von Freihandel?

Porträtfoto des Ökonomen Gabriel Felbermayr

Romy Bonitz /ifo Institut

Gabriel Felbermayr war Gast bei den Wirtschaftsgesprächen des Europäischen Forums Alpbach

Felbermayr: Man muss hier verstehen, dass es sich dabei um Anpassungskosten handelt. Ja, das ist unschön. Da braucht es eine aktive Politik, aber gleichwohl sind diese Anpassungskosten kurzfristiger Natur, während Vorteile aus einer verbesserten internationalen Arbeitsteilung langfristig sind.

Aber für den Einzelnen können solche Anpassungskosten dramatische Konsequenzen haben …

Felbermayr: Das stimmmt, Einzelne verlieren im Durchschnitt vier Jahre an Einkommen, manche auch viel mehr. Das sind unschöne, bedauernswerte Situationen, aber im Großen und Ganzen – wie es der Makroökonom betrachten muss – sind diese Anpassungskosten eher klein. Deswegen: Ja, das Problem wurde unter den Tisch gekehrt, aber die Vorteilhaftigkeit des Handels wird dadurch in den allerwenigsten Fällen in Frage gestellt.

Hat Ricardo damals nicht unterschätzt, dass diejenigen, die ihren Job verlieren, nicht so leicht in einem der wettbewerbsfähigen Sektoren unterkommen können?

Felbermayr: Das hat nicht nur Ricardo unterschätzt, das haben die WTO, die Think Tanks und auch die Forschung bisher unterschätzt. Wir haben erst seit ein paar Jahren gute empirische Studien, die beziffern, wie groß diese Einkommensverluste sind. Personen gehen aus einer Branche raus, müssen sich irgendwo „recyceln“ und arbeiten dann beispielsweise in einem Fastfood Restaurant. Das heißt, man geht nicht einfach von einem Sektor zum anderen bei gleichem Lohn, wie es in der Ricardianischen Ur-Theorie vorgesehen war.

Menschen aus Detroit, Michigan, können ein Lied davon singen: Die einstige Vorzeigestadt der US-Autoindustrie gleicht heute einer Geisterstadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Sind die Sorgen gerade von Niedrigqualifizierten also berechtigt?

Felbermayr: Ja, sicher. Die niedrig qualifizierten Arbeitnehmer sind durch Wettbewerb aus Niedriglohnländern einem Stress ausgesetzt. Vor allem Regionen mit sehr spezialisierten Sektoren sind stark von solchen Globalisierungsschocks betroffen. Das kann für diese Regionen ein langes Tränental sein.

Gerade in ehemaligen Industriehochburgen hat Donald Trump hohen Wählerzuspruch bekommen – nicht zuletzt durch sein Versprechen, protektionistische Politik zu betreiben. Wie paradox erscheint Ihnen das als Ökonom? Die USA galt doch einst als glühender Verfechter des Freihandels …

Felbermayr: Ich glaube, dass die Amerikaner wie die allermeisten anderen großen Volkswirtschaften nie reine Freiwirtschaftler waren. Das war vielleicht ein kommunikativer Spin, aber die Daten und Fakten sprechen eigentlich gar nicht dafür. Mit den Amerikanern musste in den WTO-Runden um jeden Zoll gefeilscht werden.

Donald Trump beim G-20-Gipfel im Juli 2017

AFP

Donald Trump beim G-20-Gipfel im Juli 2017

Das heißt, Trump ist nur konsequent in seinem politischen Handeln? Er hat seinen Wählern unter anderem versprochen, Schutzzölle einzuführen und damit die heimische Wirtschaft zu stärken.

Felbermayr: Trump als US-Präsident steht bei seinen Wählern in der Schuld. Die Frage ist nur - wenn man Zölle auf Autos aus Europa erhebt -, ob dann die Autostadt Detroit wieder zum Leben erwacht. Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering.

Was würden solche Zölle denn bewirken?

Felbermayr: Nichts anderes, als Trumps Wählern das Leben teurer machen. Dann müsste man für das Iphone statt 800 Dollar plötzlich ein paar tausend Dollar bezahlen. Walmart würde plötzlich sehr viel teurer sein. Das ist für jene Wähler, die durch den Wettbewerb schon auf dem Arbeitsmarkt unter Druck geraten sind, eine ganz schlechte Nachricht.

Aber würden solche Zölle nicht dennoch amerikanische Arbeitsplätze schützen?

Felbermayr: Da muss man verstehen, dass nur maximal ein Viertel der Jobs wegen des Freihandels verloren geht, wahrscheinlich sogar weniger. Der weit größere Teil hat mit technologischen Veränderungen zu tun. Konkret: Wenn es wieder mehr Autoindustrie in den USA gibt, wird wahrscheinlich eher ein Roboter diese Autos bauen als ein Arbeiter.

Können Sie auch etwas Positives finden an den Ankündigungen von Donald Trump?

Felbermayr: Durchaus. Beispielsweise bei der Verfolgung von unlauteren Handelspraktiken. Hier könnte man sowohl in Europa als auch in den USA stärker aktiv werden. Da geht es unter anderem um Dumping-Stahl aus China. Diese Art von Protektionismus ist anders. Sie ist sehr zielgerichtet, da geht es um einzelne Produkte und um einzelne Handelspartner. Das ist dann tatsächlich auch geeignet, um Amerika voranzubringen.

Seit Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump fällt immer wieder das Wort „Handelskrieg“. Wie gefährlich sind Trumps Pläne tatsächlich für die Weltwirtschaft?

Felbermayr: Handelskriege haben wir ja schon viele erlebt. Wenn jetzt wirklich mit dem Vorschlaghammer operiert wird, wie es im Wahlkampf die Rede war, wenn wirklich Zölle von 35 bis 40 Prozent auf alle Waren aus China kommen, dann rappelt’s im Karton. China würde dann maßgeschneiderte Vergeltungsmaßnahmen treffen, genau dort, wo es den Amerikanern besonders weh tut.

Wie groß ist diese Gefahr wirklich?

Felbermayr: Sie existiert natürlich. Es ist klar, dass weder die europäische Kommission noch die chinesische Regierung die Hände in den Schoß legen, wenn sie großflächig mit amerikanischen Strafzöllen belegt werden. Handelspolitische Konflikte gibt es bereits – ich denke da an Strafzölle auf deutschen Stahl und im Gegenzug auf amerikanische Biotreibstoffe. Solche Konflikte werden wahrscheinlich etwas mehr werden. Aber solange sie lokal bleiben, gefährden sie nicht den Wohlstand ganzer Länder.

Donald Trump beim G-20-Gipfel im Juli 2017 mit Angela Merkel

AFP

Donald Trump beim G-20-Gipfel im Juli 2017 mit Angela Merkel

Trump drohte ja auch damit, aus der WTO auszutreten. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?

Felbermayr: Das ist absolut unrealistisch ist, das ist Gerede.

Warum?

Felbermayr: Die WTO regelt den globalen Handel. Die Amerikaner wären schlecht beraten, aus diesem Regelwerk auszusteigen. Denn die WTO schützt unter anderem auch geistiges Eigentum. Davon wäre Herr Trump mit seiner Trump-Marke selbst betroffen. Die wäre dann nicht mehr geschützt. Ich halte die Wahrscheinlichkeit eines Austritts der USA aus der WTO gegen null gehend.

Trump droht aber dennoch mit so einem Austritt, ist er sich der Konsequenzen nicht bewusst?

Felbermayr: Nehmen wir beispielsweise die Wertschöpfungskette eines Autos her: Nach Schätzungen sind bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung eines in Mexiko produzierten Autos letztlich amerikanischer Herkunft. Patente, Software oder Motorenteile kommen oft aus den USA. Diese Zusammenhänge waren Trump lange nicht bewusst.

Trump hat auch deutschen Autoherstellern Strafzölle angedroht …

Felbermayr: Ja, die haben dem Herrn Trump dann erklärt, dass BMW der größte einzelne Autoexporteur aus den USA ist. Die SUV´s, die er in der 5th Avenue sieht und kritisiert, sind gar nicht so deutsch wie er denkt. Da ist jede Menge Wertschöpfung aus den USA drin. Und diese Komplexität war Trump nicht bekannt, denn im Immobiliengeschäft gibt es diese Komplexität nicht.

Trumps Sichtweise mag etwas vereinfacht sein. Aber spricht er damit nicht vielen Leuten aus der Seele, die das Gefühl haben, dass eine globalisierte Welt zu sozialen Verwerfungen führt?

Felbermayr: Ich glaube, wir müssen in der globalisierten Welt, in der wir leben, stärker über smarte, sozialpolitische Instrumente nachdenken, die den Menschen sozialen Halt geben, ohne die Wirtschaft zu sehr einzuengen. In der ganzen Diskussion um Freihandel wäre mir sehr viel wohler, wenn wir unsere Energie dafür verwenden und nicht zu sehr für Demos gegen Chlor-Hühnchen. Solche Themen funktionieren populistisch zwar gut, führen aber an den Zielen der Handelspolitik vorbei.

Sophie Liebhart, FD2, und Niklas Lercher, FM4

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