Der Populismus wird hybrid

Der Wahlkampf war geprägt von persönlichen Angriffen und politischem Populismus. Das klassische Links-rechts-Schema funktioniere dabei nicht mehr richtig, so der Politologe Paul Sailer-Wlasits: Der Populismus sei „hybrid“ geworden.

science.ORF.at: Was spricht eigentlich gegen Populismus? Sollten Politiker in einer Demokratie nicht immer die Interessen des Demos – also des Staatsvolks – im Auge haben?

Paul Sailer-Wlasits: Genau das sollten sie, ja, doch es gibt keinen „guten“ Populismus. Das Interesse des Staatsvolks hat der Populismus trotz unablässiger Beteuerungen jedenfalls nicht in seinem genetischen Code. In Wahlkämpfen verläuft die sprachliche Trennlinie zwischen dem politischen Überzeugen der Menschen und dem Überreden der Wähler. Das eine ist ein politischer Diskurs im Sinne von positivem Gestaltungswillen. Das andere ist populistisches Agitieren, politische Rhetorik und Reduktion von Komplexität, also die „Rückseite“ politischer Kultur.

Sie verwenden den Begriff „hybrider Populismus“: Was verstehen Sie darunter?

Porträtfoto des Sprachphilosophen Paul Sailer-Wlasits

Privat

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Sein aktuelles Buch „Minimale Moral. Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache“ erschien 2016 im Verlag new academic press.

Sailer-Wlasits: Die inhaltliche Trennschärfe und parteipolitische Zuordenbarkeit von sogenanntem rechten und linken Populismus hat in den vergangenen Jahren drastisch abgenommen. Der Populismus ist mittlerweile nicht nur hierzulande, sondern in zahlreichen Staaten in ein hybrides Stadium übergegangen. Ich habe daher den Begriff „Hybrider Populismus“ vorgeschlagen, um damit die Elemente des Dazwischen und des Sowohl-als-auch zu bezeichnen, die in der gegenwärtigen politischen Praxis sprachlich jegliches „Verhalten zu“ ermöglichen. Zahlreiche Elemente unterschiedlicher Ausgangspositionen werden dadurch zu einer Mischposition verknüpft.

Wo finden sich im aktuellen Wahlkampf Beispiele für diesen hybriden Populismus?

Sailer-Wlasits: Er begegnet uns auf Schritt und Tritt. Überall dort, wo die Positionen einer Partei bis zur inhaltlichen Schmerzgrenze mit populistischen Versatzstücken anderer Parteien aufgeladen werden. Dabei wird nicht einfach nur voneinander abgeschrieben, sondern das Übernommene wird sprachlich umcodiert und gewaltsam in die je eigene Parteilinie gezwängt. Etwa in der Flüchtlingsfrage, bei der sich Positionen der FPÖ – entsprechend umcodiert – in den Wahlkämpfen von ÖVP und SPÖ wiederfinden.

Ähnlich wie im deutschen Wahlkampf, wo die CSU von „Obergrenze“ und die Linken von „Kapazitätsgrenze“ sprachen. Die verschiedenen Dimensionen von regulativer und redistributiver Politik werden ebenfalls populistisch verschmolzen: etwa von der ÖVP, wenn der kurzfristige Anstieg an Asylanträgen von durchschnittlich unter 20.000 pro Jahr auf ca. 90.000 rhetorisch überhöht als „massive Überforderung unserer Sozialsysteme und unserer öffentlichen Ordnung“ dargestellt wird. Diese umformulierte FPÖ-Position führt dazu, dass die FPÖ reflexartig sprachlich darüber hinausgehen muss, um ihr Copyright zu behalten und dann generalisierend von „unkontrollierter Zuwanderung in unser Sozialsystem“ spricht.

Wahlplakate von zur bevorstehenden Nationalratswahl

APA - Roland Schlager

Warum ist es populistisch, sich gegen eine „unkontrollierte Zuwanderung“ oder eine „massive Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ auszusprechen - wenn man davon ausgeht, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich genau dieses wünscht?

Sailer-Wlasits: Der populistische Mechanismus ist hier folgender: Zunächst werden sprachlich überhöhte Bedrohungsszenarios konstruiert, so als ob das Sozialsystem unmittelbar vor dem Kollaps stünde, um dann rhetorisch gegen diese scheinbar akute Schwerstbedrohung zu Felde zu ziehen. Das ist das Gegenteil einer sachlichen, differenzierten Debatte, da werden durch das sprachliche Verrücken der Dimensionen primär Emotionen geschürt und bedient. Der in der Gesellschaft latent vorhandene Hass wird durch solche politische Sprache gewissermaßen aufgeweckt. Derartige parteipolitische Statements sind keine neutralen Meinungen, das sind Sprechakte, gerichtete Sprachhandlungen, welche die Stimmung in einem Land lenken und manipulieren. Der zu zahlende Preis für solche Parteipolitik ist die tendenzielle Abnahme von Toleranz in einer Gesellschaft.

Migration und „Ausländer“ sind historisch ein klassisches Thema konservativer und rechter Parteien – genau diese punkten auch im aktuellen Wahlkampf damit: Was ist daran hybrid? Hybrid wäre es, wenn auch die SPÖ und Grünen darauf setzen würden …

Sailer-Wlasits: Sie sprechen den zentralen Punkt an: Populismus ist keine Ideologie im klassischen Sinne und auch kein Inhalt per se, sondern eine Methode der politischen Praxis. Daher gibt es den Populismus ja sowohl bei rechten Parteien, in der gegenwärtigen Politik vorzugsweise in Europa, und bei linken Parteien heute hauptsächlich in Lateinamerika. Ein krasseres, deutlich sichtbares Beispiel für hybriden Populismus war der US-Präsidentschaftswahlkampf: Es ist einem Vertreter des Establishments tatsächlich gelungen, gegen das politische Establishment, gegen Wall Street usw. zu agitieren und zu polemisieren, d. h. als Milliardär klassischen linken Populismus in sprachlich umcodierter Weise zu vertreten.

Gleichzeitig vertrat er auch extreme rechtspopulistische Positionen in Richtung Tea-Party. Am Ende wurde er von großen Teilen der sogenannten abgehängten, sozial unterprivilegierten Bevölkerung in den USA gewählt, vermeintlich als „einer von ihnen“. Das Links-rechts-Schema reicht als Beschreibung daher nicht mehr aus, der „Hybride Populismus“ bezeichnet genau dieses „Sowohl-als-auch“. Der Begriff zielt auf das relationale Element populistischer Politik, das beliebige „Verhalten zu“ jedwedem Thema, je nach Opportunität und Tagesaktualität.

Wahlplakate von zur bevorstehenden Nationalratswahl

APA - Barbara Gindl

Wie beurteilen Sie den aktuellen Wahlkampf, in dem zuletzt Inhalte – gleichgültig ob populistisch oder nicht - überhaupt nicht mehr im Mittelpunkt standen?

Sailer-Wlasits: Wahlkämpfe, die eine derartige Zuspitzung erfahren wie der derzeitige, beschädigen nicht nur die handelnden Akteure, sondern das gesamte politische System mittel- bis langfristig. Nicht nur in den USA, auch hierzulande wird Politik künftig noch stärker mit herabgesetzter Wahrheitsfähigkeit gleichgesetzt werden. Gerade im aktuellen Wahlkampf wäre die Autorität eines starken Bundespräsidenten gefragt gewesen. Ein Staatsoberhaupt im positiven Sinne des Wortes, das alle Parteispitzen von Anfang an zu einem gemeinsamen Verhaltenskodex gezwungen hätte, d. h. zu minimaler Moral im Sinne des politischen Befolgens ethischer Maximen. Und nicht ein Bundespräsident, der wie seine Vorgänger zwar Aktivität ankündigte, jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung wirkt, als halte er sich weitgehend heraus und ermahne zu sanft und zu spät, wenn Schwarz-Rot sich durch das Wahlkampffinale hindurchprügeln.

Wie müsste ein Wahlkampf verlaufen, der nicht populistisch in Ihrem Sinne ist? Haben Sie dafür Beispiele aus der Vergangenheit?

Sailer-Wlasits: Es gab wenige Wahlauseinandersetzungen in Österreich, die noch erbärmlicher und provinzieller waren als die diesjährige, vielleicht war nur der „Waldheim-Wahlkampf“ von 1986 demokratiepolitisch noch ruinöser. In Wahlkämpfen dominieren seit Jahrzehnten die ikonischen Inszenierungen von Personen gegenüber den diskursiven Elementen wie Programmen und Sachthemen. Dieser Trend ist nicht nur aufgrund der Konvergenz der Parteien, sondern auch aufgrund der Dynamik von Social Media nicht mehr umkehrbar. Besonders positiv hervorzuheben sind deshalb etwa die Wahlen zum Europäischen Parlament. Deren Kommunikation ist weniger an Produktwerbung angelehnt, sondern läuft von Sachthemen geprägt, inhaltlich differenziert und wenig populistisch ab. Fatalerweise werden Europawahlen jedoch in vielen Ländern umfunktioniert und zur Abhandlung nationaler Themen populistisch missbraucht.

Haben Sie einen konkreten Vorschlag, wie man Wahlkämpfe weniger populistisch gestalten könnte?

Sailer-Wlasits: Für die Zukunft wäre ein politischer Compliance-Katalog für Wahlen wünschenswert. Ein solcher Wahlverhaltenskodex müsste überparteilich entwickelt werden und könnte etwa für einen Bundespräsidenten eine lohnende Aufgabe darstellen; er hinterließe damit ein politisch-kulturelles Gerüst und eine relevante Handlungsorientierung.

E-Mail-Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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