„Der war ja wirklich wahnsinnig“

Grausame Nazi-Ärzte und mutierte Monster - solchen Gestalten begegnet Eugen Pfister jeden Tag: Der Historiker untersucht die Figur des „Mad Scientist“ in Computerspielen. Über seine Erfahrungen an der Konsole berichtet er in einem Interview.

science.ORF.at: Herr Pfister, eigentlich haben Sie einen Traumjob: Sie werden fürs Computerspielen bezahlt.

Eugen Pfister: Natürlich ist es schön, das tun zu können, was einen fasziniert. Dennoch musste ich lange überlegen, ob ich das machen will. Historische Forschung an Computerspielen - das war schon gewagt. Die Antwort vieler Professoren war: Das ist interessant, aber es ist dafür noch zu früh. Sie meinten, ich solle doch besser etwas Traditionelles machen.

Historiker Eugen Pfister sitzt auf einer Couch vor einer Bücherwand

ORF/Czepel

Historiker mit Sinn für das Unkonventionelle: Eugen Pfister

Wie kamen Sie zu diesem Thema?

Pfister: Digitale Spiele waren immer schon ein wichtiger Bestandteil meiner Freizeit. Ich spiele, seit ich sieben bin. Mit neun Jahren hatte ich meinen ersten PC, das war ein IBM PS/2. Dass ich in Kontakt mit Computerspielen kam, hat wohl auch mit meinem Vater zu tun - der war ein „early adopter“. Er hat schon in den 70er Jahren begonnen, auf den ersten größeren Taschenrechnern zu programmieren.

Zur Person

Eugen Pfister hat an der Akademie der Wissenschaften kollektive Identitäten und politische Kommunikation in digitalen Spielen untersucht - und u. a. auch in seinem Forschungsblog über seine Erfahrungen berichtet.

Im März 2018 übernimmt er die Leitung des Ambizione-Forschungsprojekts „Horror Game Politics - Die politische Rhetorik des Grauens“ an der Hochschule der Künste Bern.

Literatur zum Thema: „Doctor nod mad. Doctor insane.“ Eine kurze Kulturgeschichte der Figur des mad scientist im digitalen Spiel

Und wie wurde das Hobby zum Forschungsgegenstand?

Pfister: Grundsätzlich versuche ich das, was mich fasziniert, zu zerlegen, um es besser zu verstehen. In meiner Dissertation habe ich mich mit der politischen Kommunikation in Wochenschauen auseinandergesetzt. Und da auch in Computerspielen Politik konstruiert wird, wenn auch nicht immer bewusst, habe ich mir die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema angesehen - und festgestellt: Hoppla, da gibt es noch fast nichts. Und das bei einem Massenmedium, das nach wie vor wächst und immer mehr Altersschichten durchdringt.

Gibt es dazu Statistiken? Wie viele Menschen spielen am Computer?

Pfister: Laut der Entertainment Software Association gibt es in 65 Prozent aller amerikanischen Haushalte zumindest eine Person, die regelmäßig spielt. In einer Umfrage der Bitkom gaben 42 Prozent der Deutschen an, regelmäßig zu spielen. Viele Menschen sind immer noch der Meinung, Computerspiele seien Kinderspielzeug. Das stimmt nicht. Über die Frauen über 30 wird eben weniger geredet als über die männlichen Teenager, die First-Person-Shooter spielen.

Sie haben sich in ihren Forschungen mit „Mad Scientists“, also mit verrückten Wissenschaftlern, in Computerspielen auseinandergesetzt. Haben Sie Lieblingsfiguren?

Pfister: Im Spiel würde ich sagen: Dr. Fred Edison, eine Satirefigur aus „Maniac Mansion“ - er ist als Karikatur ins Extrem übersteigert, dabei aber irgendwie entrückt liebenswürdig. Und im Film: Doc Brown aus „Zurück in die Zukunft“. Ich habe mir den Film übrigens kürzlich mit meinem Sohn angesehen. Er war genauso begeistert wie ich damals.

An Doc Brown fällt auf: Er hat die Frisur des späten Albert Einstein.

Pfister: Definitiv. Es gibt ein paar Versatzstücke, an denen man den „Mad Scientist“ erkennt. Wobei das wirre Haar nicht nur mit Einstein zu tun hat. Es steht für eine Haltung. Nämlich für die Tatsache, dass man der persönlichen Pflege wenig Aufmerksamkeit schenkt, weil man in höheren Sphären schwebt. Erkennungsmerkmale sind auch: Labormantel, Brille und - je nach Grad der Bösartigkeit - tiefe Furchen oder ein grimmiger Ausdruck im Gesicht. Der „Mad Scientist“ ist selten füllig. Das sind meist hagere Personen, also keine Genussmenschen, sondern eher asketische Geister. Und wenn der „Mad Scientist“ zur Karikatur wird, natürlich auch: irres Lachen.

Wilhelm Strasse aus „Wolfenstein“ vereinigt alle Attribute, die für den bösen „Mad Scientist“ typisch sind. Anspieltipp: Ab Minute 21 steigt der Nazi-Doktor in sein bewaffnetes Exoskelett.

Wodurch unterscheidet sich der verrückte Wissenschaftler in Computerspielen von jenen in Literatur und Film?

Pfister: Die Ikonografie und das Narrativ sind im Computerspiel recht ähnlich, das wird von den älteren Medien häufig übernommen. Was hinzukommt, ist die Spielmechanik - und die kann die Aussage verändern: Spiele sind noch immer sehr konfliktlastig. Das heißt, dass der „Mad Scientist“ in dieses Konfliktkorsett eingepasst werden muss. Es wird häufig argumentiert, das sei einfacher zu programmieren, doch das ist Unsinn. Wir haben es in unserer westlichen Kultur einfach erlernt, dass Spiele auf Konflikt - und im Fall des Computerspiels vor allem auf Kampf - basieren.

Und das verändert auch die Figur?

Pfister: Der britische Soziologe Andrew Tudor wies schon in den späten 80ern nach, dass die Figur beim Übergang vom Roman zum Film eine Wandlung durchgemacht hat. Im Roman ist viel Platz für die Entwicklung des Charakters, für die Hintergründe und die Zweifel, die die Figur hat. Mary Shelleys Doktor Frankenstein etwa ist eine gespaltene Person, die nicht klar gut oder böse ist. In den ersten Filmen ist der verrückte Wissenschaftler bereits eindeutiger böse, das Medium verlangt es, dass der Charakter stärker zugespitzt wird. Im Spiel passiert das ebenfalls. Die Bösewichte im Spiel sind überzeichnet - noch stärker als im Film.

Zum Beispiel?

Pfister: In der „Resident Evil“-Serie - das sind Survival-Horror-Games - kreiert ein böses Großunternehmen ein Zombie-Virus mit Hilfe von verrückten Wissenschaftlern. Da wird kaum erklärt, warum sie das gemacht haben. Und die Wissenschaftler mutieren selbst zu Monstern, die bekämpft werden müssen. In der Literatur muss das verrückte Genie nicht vom Helden in einem finalen Showdown besiegt werden. Aber im Spiel ist es so - zumindest bislang. Das muss natürlich eine Hürde sein für den Spieler. Gegen einen schwachbrüstigen Wissenschaftler zu kämpfen wäre keine Herausforderung.

Feuern aus allen Rohren: Showdown in „Resident Evil“

Daher mutieren eben die Forscher in „Resident Evil“ zu Monstern. Daher steigt der böse Nazi-Euthanasie-Doktor in Wolfenstein am Ende in ein riesiges Exoskelett mit Raketenwerfern. Das führt dazu, dass man als Spieler überhaupt keine empathische Beziehung zu dieser Figur aufbaut. Sie ist einfach ein Gegner, der überwunden werden muss. Man ist frustriert, denn man stirbt 20-, 30-mal, bis es gelingt. Da denkt man nicht mehr: „Das war ja auch ein Mensch.“ Sondern: „Endlich habe ich es geschafft. Der war ja wirklich wahnsinnig.“

Historisch betrachtet: Woher stammt die Figur?

Pfister: Mein erster historischer Bezugspunkt ist Doktor Faustus, also das 15. Jahrhundert. Man müsste im Grunde bis zur Antike zurückgehen, weil Wissenschaftlern immer schon nachgesagt wurde, sei seien weltfremd und anders als der Rest der Bevölkerung. Dieses Motiv findet sich bis heute in der Popkultur und wird wohl auch von den Wissenschaftlern unbewusst übernommen.

Wollen Wissenschaftler anders sein als der Rest?

Pfister: Ich möchte nicht zu sehr in der Psychologie dilettieren. Historisch betrachtet ist die Figur des verrückten Genies jedenfalls ein Kind der Aufklärung. Victor Frankenstein, Dr. Moreau, Dr. Jekyll - die klassischen Figuren stammen alle aus dem 19. Jahrhundert.

Wie kam es zu dieser Häufung?

Pfister: Zum einen, weil die Wissenschaften im 19. Jahrhundert verstärkt mit Utopien verbunden wurden. Zum anderen hat das auch mit dem Aufkommen von Massenmedien zu tun: Wenn Galilei sich mit einem Problem auseinandergesetzt hat, dann wusste die Gelehrtengesellschaft recht schnell davon, vor allem über Briefe. Aber die allgemeine Bevölkerung bekam davon wenig bis gar nichts mit.

Im 19. Jahrhundert fanden wissenschaftliche Themen über Tageszeitungen und Wochenjournale erstmals weite Verbreitung. Mit der Hoffnung und dem Fortschrittsglauben rückte auch die andere Seite der Medaille ins Licht - nämlich die Warnung: Das kann alles zu weit gehen. Wir öffnen hier vielleicht die Büchse der Pandora.

Was sagt uns die Figur des „Mad Scientist“ über den gesellschaftlichen Status der Wissenschaft?

Pfister: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der „Mad Scientist“ noch sehr stark im realen wissenschaftlichen Diskurs verwurzelt. Heute verschiebt sich das in Richtung des Okkulten und Magischen, man versteht nicht mehr wirklich, was da vor sich geht. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass es auch in der Realität zu einer stärkeren Entfremdung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kommt.

Wann setzen Sie sich das nächste Mal an die Konsole?

Pfister: Ich bin zurzeit in Vaterkarenz, da bleibt etwas wenig Zeit. Ich versuche, drei-, viermal die Woche eine Stunde zu investieren. Vor allem in der Nacht. Das wird allerdings bei meinem nächsten Forschungsprojekt wieder besser: Die Hochschule der Künste in Bern richtet mir ein Game-Lab ein. Da kann ich dann vor Ort meine Quellen untersuchen - und spielen.

Also doch ein Traumjob.

Pfister: Es ist schön, ja. Aber man macht sich das Hobby zugleich ein bisschen kaputt. Das Faszinierende am Spielen ist ja das Loslassen, das unbeschwerte Eintauchen. Mit dem kritisch-wissenschaftlichen Blick geht das leider kaum.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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