Weniger Kinder durch „Schwiegermutter-Effekt“
„Österreich war zwar nicht Teil der Studie“, erzählt der Anthropologie Martin Fieder von der Universität Wien gegenüber science.ORF.at. „Wir haben aber auch die Daten für Österreich untersucht und gesehen, dass Frauen, die im gleichen Haushalt mit ihren Müttern oder Schwiegermüttern wohnen, auch hier deutlich weniger Kinder haben.“
Unabhängig von Kultur und Einkommen
Theorien darüber, warum das so ist, gibt es zahlreiche. Die am nächsten liegende, dass dies mit dem Einkommen oder der Bildung zu tun hat – die sich auf die konkrete Wohnsituation auswirkt – schließt Fieder aus. „Denn diese Faktoren haben wir statistisch herausgerechnet.“
Studie
“Living with own or husband’s mother in the household is associated with lower number of children: a cross-cultural analysis", Royal Society Open Science, 25.10.2017
In allen 14 untersuchten Ländern – von Argentinien über Malawi bis Griechenland und die USA - zeigte sich das gleiche Bild. Die große Mehrheit der Frauen zwischen 15 und 34 Jahren lebt mit ihrem Mann ohne Mutter oder Schwiegermutter zusammen (Ausnahme: Irak). Jene Frauen, bei denen das aber nicht der Fall ist, haben deutlich weniger Kinder. „Und zwar so um die 20 Prozent weniger“, so Fieder. Das Phänomen sei unabhängig von der Kultur des jeweiligen Landes.
Deshalb liegen für den Anthropologen biologische Erklärungen nahe. Bisher nahmen viele Evolutionsbiologen an, dass Großmütter ihre Töchter und Schwiegertöchter beim Großziehen der Enkel unterstützen, und dass letztere deshalb tendenziell mehr Nachwuchs haben. Dies ist aber laut der Studie nicht der Fall.
Konkurrenz von Müttern und Töchtern
Ein Erklärungsmodell von Fieder lautet daher „reproduktive Konkurrenz“. Was so viel heißt wie: Großmütter, die sich selbst noch fortpflanzen können und wollen, sorgen sich lieber um das Wohl der eigenen Kinder als um das der Enkel. Für diese These spricht laut Fieder der Umstand, dass der Effekt umso größer ist, je jünger die Großmutter ist.
Ein weiterer Faden der Erklärung: Schwiegermütter sind so etwas wie die „Anstands-Wau-Waus“ im Haus. Als Mütter ihrer Söhne sind sie darauf erpicht, dass diesen keine „Kuckuckskinder“ untergeschoben werden. Denn in solchen Fällen würden die Enkel nicht Teile des großmütterlichen Erbguts tragen. Dagegen spreche allerdings, so Fieder, dass der „Kinderreduktionseffekt“ nicht nur bei den Schwiegermüttern, sondern auch bei den eigenen Müttern auftritt – wenn auch in geringerem Ausmaß.
Wirklich überprüfen könnte man diese evolutionsbiologischen Thesen, wenn man das Erbgut der Kinder untersuchen könnte – das ist freilich Stoff für weitere Studien.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at