Diabetes heilen im Darm

Wer an Diabetes erkrankt, muss Medikamente nehmen und seinen Lebensstil ändern. Ein relativ einfacher Eingriff im Zwölffingerdarm könnte die Erkrankung heilen oder zumindest verbessern, sagen nun Forscher.

Die Idee, bei Typ-2-Diabetes den Zwölffingerdarm ins Visier zu nehmen, ist nicht ganz neu. Sie geht auf Beobachtungen bei Operationen zurück, die Menschen mit extremem Übergewicht helfen sollen, Gewicht zu verlieren. Bei manchen dieser Eingriffe wird der Zwölffingerdarm bei der Verdauung umgangen.

In der Folge verbessert sich die Insulinresistenz der Patientinnen und Patienten. D.h., ihr Zuckerstoffwechsel funktioniert wieder besser, noch bevor sie nennenswert an Gewicht verlieren. So kam der US-amerikanische Kardiologe und Mitgründer des Medizingerätehersteller Fractyl Harith Rajagopalan auf die Idee eine neue Behandlungsmethode für Diabetes zu entwickeln, die einen ähnlichen Effekt haben soll.

Intelligenter Darm

Lange habe man gedacht, der Darm sei einfach eine simple Röhre, durch die Nährstoffe aufgenommen und Schadstoffe ausgeschieden werden, sagt Harith Rajagopalan, aber der Darm ist viel mehr, nämlich das größte Nervensystem außerhalb des Gehirns - und er gibt auch die meisten Hormone ab.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 2.11. um 13:55.

Diese geben Signale an den Rest des Körpers und steuern so viele Vorgänge. Das könnte erklären, warum manche Magen-Darm-Operationen einen Einfluss auf Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes haben.

Heute weiß man, dass der Zwölffingerdarm die Insulinproduktion mitanregt - durch spezielle Zellen in der Schleimhaut, die das Hormons GLP-1 ausschütten. Isst man viel Fett und Zucker leidet darunter auch die Schleimhaut des Zwölffingerdarms und reagiert nicht mehr richtig. Könnte sie sich erholen, hätte das also auch Folgen für den Stoffwechsel.

Neustart für Schleimhaut?

Hier setzt Rajagopalan an. Und zwar mit einer Prozedur, die sich schnell von Ärztinnen und Ärzten erlernen ließe und sogar als ambulante Behandlung durchführbar wäre: Dabei soll ein von Fractyl entwickelter Katheter - mit einer Art Ballonaufsatz - durch den Mund in den Zwölffingerdarm eingeführt werden und einige Zentimeter der oberflächlichen Schleimhaut auf 90 Grad Celsius erhitzen.

Die zerstörten Zellen werden ausgeschieden, in ungefähr sechs Wochen erneuert sich die Schleimhaut komplett. In den von Fractyl bereits durchgeführten Studien zeigt sich in über 80 Prozent der Fälle eine deutliche Verbesserung der Insulinwerte. Geradezu ein Neustart könnte das vor allem für jene sein, die gerade erst Diabetes entwickeln, schwärmt Rajagopalan.

Offene Fragen

Unabhängige Studien zur Effektivität der Methode gibt es noch nicht, aber der Katheter selbst ist in der EU zugelassen worden. Derzeit laufen in Europa klinische Studien.

Rainer Schöfl von der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie hält die Methode grundsätzlich für sicher genug – was die Risiken des Eingriffs angeht. Aber es seien noch viele Fragen offen: So zeigen die Ergebnisse der Studien mit Beteiligung von Fractyl, dass die Werte nach drei Monaten besser sind als nach sechs Monaten - die Langzeitwirkung bleibt also unklar. Vor allem dann, wenn Patienten ihre Ernährung nicht umstellen.

Genauso unklar sei, wie oft man die Prozedur sicher wiederholen könnte. Eine Nebenwirkung, die bei rund zehn Prozent der Behandelten auftrat, waren Stenosen - Verengungen des Darms, die sich allerdings durch eine weitere Endoskopie behandeln lassen, sagt Schöfl. Falls der Eingriff wirklich Diabetes zuverlässig auch nur ein oder zwei Jahre aufhalten könnte, scheinen die Risiken des Eingriffs absolut vertretbar, meint er. Ob das Versprechen hält, wird sich aber erst zeigen müssen.

Kostenfrage

Zudem würde der Eingriff anfangs vermutlich Tausende Dollar kosten und daher wohl nicht gleich jedem offenstehen. Rajagopalan rechnet aber vor, dass das im Vergleich zu lebenslangen Medikamenten und Folgeerkrankungen die Versicherungen sogar billiger käme.

Der Eingriff wird derzeit nur im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt, allgemein zugänglich könnte er in Europa in zwei bis drei Jahren sein, sagt Rajagopalan. Und potentielle Interessenten dürfte es genügend geben: Alleine in Österreich sind 600.000 Menschen von Diabetes betroffen, und der Trend ist weltweit steigend.

Von der neuen Behandlung könnten also Hunderttausende profitieren. Nach wie vor gilt aber der oft wiederholte Rat: Gesunde Ernährung und Bewegung können verhindern, dass Diabetes überhaupt ausbricht.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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