Was macht den Menschen zum Menschen?

Schimpansen- und Menschengehirne sind einander sehr ähnlich. Doch im Detail gibt es Unterschiede, wie Organvergleiche zeigen: Neurobiologen glauben die Signatur der menschlichen Intelligenz aufgespürt zu haben.

Die Menschheit hat, so formulierte es Sigmund Freud anno 1917, im Laufe ihrer Geschichte einige narzisstische Kränkungen hinnehmen müssen.

Erstens in kosmologischer Hinsicht, da seit Kopernikus nicht mehr die Erde im Zentrum des Planetensystems steht, sondern die Sonne. Zweitens zoologisch, da der Mensch seit Darwin als eine Art unter vielen in der Ahnenreihe der Tiere rangiert.

Und drittens, notierte Freud durchaus ohne falsche Bescheidenheit in der Schrift „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“, habe auch seine eigene Theorie des Unbewussten der Menschheit eine solche Kränkung zugefügt. Nämlich durch die Einsicht, dass das „Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“.

Eizellen-Gen im Gehirn

Soweit wäre das Bedürfnis, den Menschen oder sein Ich in eine vorrangige Position zu setzen, überwunden. Nun machen sich Biologen daran, das Erbe Darwins mit neuen Begrifflichkeiten auszuformulieren. Jüngster Beitrag im Fachblatt „Science“: die Ahnenreihe der Tiere, abgelesen an unserem Denkorgan, dem Gehirn.

Schimpanse und Mensch Auge in Auge

AP Photo/Gary Stewart

Nur ein Prozent der Gene trennt uns vom Schimpansen - manche Biologen argumentieren, man sollte ihn der Gattung Homo zuordnen

Forscher um Andre Sousa von der Yale University haben menschliches Hirngewebe mit jenem von Schimpansen, Makaken und anderen Primaten verglichen und auf Ebene der Moleküle einige Unterschiede entdeckt. Nicht auf jeden Fund konnten sie sich einen Reim machen. So fanden sie etwa heraus, dass im Kleinhirn vom Menschen (und nur bei diesem) das Gen ZP2 aktiv ist. Das Gen ist aus einem ganz anderen Kontext bekannt, es regelt die Befruchtung von Eizellen durch Spermien. Welche Aufgabe hat es im Gehirn? „Wir haben keine Ahnung, was es da tut“, sagt Co-Autorin Ying Zhu, ebenfalls aus Yale.

Etwas offensichtlicher dürfte der Zusammenhang mit dem Denkvermögen bei folgenden Befunden sein: Zhu und Sousa untersuchten auch das Gen TH, ein Regulator des Botenstoffes Dopamin. Das macht es vor allem in Hinblick auf höhere Hirnfunktionen interessant. In der menschlichen Großhirnrinde (genauer: im „Neocortex“) ist es sehr aktiv - bei allen anderen Primaten indes ruht es dort. Ähnliches gilt für das Gen MET, das bislang mit Autismus in Zusammenhang gebracht wurde.

Kränkung tilgen: “Einzigartige“ Moleküle

All die Daten, schreiben die Forscher in ihrer Studie, fügen sich nun zu einem Erklärungsrahmen. Dieser zeige, „was das menschliche Gehirn einzigartig macht.“ Sousa resümiert: „Unser Gehirn ist drei Mal so groß wie jenes von Schimpansen, es besteht aus mehr Zellen und hat somit auch mehr Rechenkapazitäten. Es bestehen Unterschiede bei der Funktion einzelner Hirnzellen sowie bei der Art und Weise, wie sie sich verbinden.“

Einzigartigkeit im Tierreich? Fast scheint es, als wollten die Forscher die historische Krämkung ein Stück weit rückgängig machen - und dem alten Anthropozentrismus über die molekulare Hintertüre wieder Zutritt zur Wissenschaft verschaffen.

Einzigartigkeit könnte man jedenfalls, sofern man sie finden will, auch allen anderen Primaten attestieren. Im Gehirn wie im Verhalten: den Bonobos etwa wegen ihrer freien Sexualität und friedlichen Lebensweise; den Schimpansen aufgrund ihres formidablen Kurzzeitgedächtnisses (es gibt Tests, da sind sie Menschen deutlich überlegen); den Gibbons wiederum wegen ihrer Körperbeherrschung beim Schwingen von Ast zu Ast, da macht ihnen nämlich keine andere Art etwas vor. Et cetera – die Frage ist nur, welche Perspektive man einzunehmen gewillt ist.

„Krone“ ohne Schöpfung

Skeptisch könnte allein der Begriff „Primaten“ stimmen, der leitet sich vom lateinischen „primus“, also vom Ersten (im Tierreich) ab. Das alte Motiv von der „Krönung der Schöpfung“ ist also immer noch Teil der offiziellen Terminologie. Und findet sich, wie der britische Biologe Sean Nee vor ein paar Jahren hingewiesen hat, auch in anderen Bereichen: Biologische Stammbäume etwa sind häufig so ausgerichtet, dass sie nach oben verlaufen – so, als gäbe es in der Evolution ein „Oben“ und „Unten“. Und wenn der Mensch in solch einem Stammbaum verzeichnet ist, dann meist an dem Platz, der ihm seit jeher zukommt. Ganz oben nämlich.

Freilich: Was Sprache, Kultur, Technik anlangt, ist der Homo sapiens tatsächlich eine besondere Art. Das abzustreiten wäre albern. Ob der Hinweis auf die kleinen Moleküle im großen Gehirn in diesem Zusammenhang viel erklärt, bleibt allerdings zu bezweifeln. Zumindest könnte man sich in Erinnerung rufen: Das größte Gehirn in der jüngsten Ahnenreihe hatten nicht wir, sondern die Neandertaler.

Robert Czepel, science.ORF.at

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