Erinnerungskultur in populistischen Zeiten

Wie an kein anderes Ereignis der Geschichte wird heute weltweit an den Holocaust erinnert. Im Zeitalter des Populismus wird damit aber zum Teil auf bizarre Weise Politik gemacht, hieß es heute auf einer Tagung in Wien.

Der US-amerikanische Präsident Donald Trump hat im vergangenen Jahr immer wieder für politische Irritationen gesorgt, auch was das Gedenken an die Opfer des Holocaust betrifft. Die Liste reicht von einer allzu kurzen Stippvisite in der bedeutenden israelischen Gedenkstätte Yad Vashem und einem unpassenden Eintrag in das Gedenkbuch, bis zum Vergleich des syrischen Diktators Assad mit Adolf Hitler. Was das für die internationale Erinnerungspolitik bedeuten könnte, analysierte der Zeithistoriker Dirk Rupnow von der Universität Innsbruck bei einer Montag gestarteten Simon Wiesenthal Conference in Wien.

Erinnerungspolitik Trumps nicht schlüssig

Dirk Rupnow, der die erste Hälfte dieses Jahres an der Universität Stanford in den USA geforscht hat, konnte dort die „neue“ Erinnerungspolitik der Trump-Administration beobachten. Schon kurz nach seinem Amtsantritt sorgte der Neopolitiker für Irritationen. Den 27. Jänner - der Tag, an dem weltweit der Opfer des Holocaust gedacht wird - nahm der US-Präsident zum Anlass, um eine restriktivere Flüchtlingspolitik anzukündigen. Über die sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden verlor er kein Wort. Dirk Rupnow sieht darin erst den Anfang einer wenig schlüssigen Erinnerungspolitik.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 27.11., 12:00 Uhr.

Und am 28.11. ist Dirk Rupnow zu Gast in Punkt eins, über „(Un)Rühmliche Opfer?“, 13:00 Uhr.

Mit Trump würden die Inkonsistenz und die Ignoranz sichtbarer, meint Rupnow. Es sei wichtig, sich mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen. Denn eigentlich habe die Erinnerung an den Holocaust überall auf der Welt offiziellen Status. In den vergangenen zwanzig Jahren ist es auch gelungen, Standards zu definieren, wie dieses Gedenken aussehen muss und wie es jüngeren Generationen vermittelt werden kann.

„Ich würde behaupten, es ist die weltweit einzige, wirklich institutionell abgesicherte Erinnerung an ein historisches Ereignis“, so Rupnow. Damit verbunden sei auch der Versuch, diese Erinnerung einheitlich inhaltlich auszugestalten.

Politik mit Erinnerung machen

Trotz dieser Errungenschaften werde noch immer mit dem Gedenken an den Holocaust Politik gemacht, betont der Historiker. War es früher die Verdrängung und Verleugnung der Geschichte, wird das Gedenken heute in Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingspolitik gebracht, und zwar in zweifacher Hinsicht. Die einen benutzen die Erinnerung an den Holocaust dazu, einen menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen einzuklagen. Andere argumentieren, dass es sich beim Gros der Flüchtlinge um Antisemiten handle, die man nicht nach Europa lassen dürfe.

Vergleiche von Flüchtlingslagern mit Konzentrationslagern haben ebenso zu heftigen Debatten geführt, wie die Versuche, den europäischen Antisemitismus zu verschleiern. Beides schade der Erinnerungskultur und dem Gedenken an den Holocaust. „Da gibt es eine Verschiebung im Diskurs in den letzten Jahren und Jahrzehnten, wo der Antisemitismus zunehmend externalisiert wird“, erklärt Rupnow.

Der Antisemitismus werde auf den Flüchtlingen und Migranten abgeladen. Aber auch das birgt eine Gefahr, ist der Historiker überzeugt. „Auf diese Weise wird vom heimischen, hausgemachten Antisemitismus in europäischen Gesellschaften abgelenkt, der wird nach wie vor gerne ausgeblendet“, so Rupnow.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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