Mit Psychoanalyse gegen Fremdenangst

Fremdenangst und Fremdenhass sind salonfähig geworden. Immer mehr Menschen fühlen sich als „Fremde im eigenen Haus“. Die Psychoanalyse erinnert nun daran, dass das Fremde in uns selbst lauert – und wir sowieso nicht Herr im eigenen psychischen Haus sind.

Im Herbst 2015 kamen über 90.000 Flüchtlinge nach Österreich. Eine reale Herausforderung, die vielen Menschen Angst macht. Sie fürchten um ihre Haut, Werte und ihren Platz in der Gesellschaft. Dass da ausgerechnet die Psychoanalyse etwas ausrichten kann, erzeugt Zweifel, Spott und Befremden. Die Beschäftigung mit dem Unbewussten scheint da fast aberwitzig, geht es doch für viele um Arbeitsplätze, Existenzangst und das bedrohte Gefühl von „Heimat“.

“Fremde sind wir uns selbst“

Diese Ängste sind nachvollziehbar, woher aber der viele Hass kommt – dazu kann die Psychoanalyse wertvolle Hinweise geben. „Fremde sind wir uns selbst“, schrieb dazu die bulgarische Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva schon 1990:

Ö1-Sendungshinweis

„Fremd. Im eigenen Haus. Psychoanalytische Positionen zur Angst vor dem Fremden“, Salzburger Nachtstudio, 28.11., 21 Uhr

„Der Fremde, Figur des Hasses und des anderen, (…) ist weder die kommende Offenbarung noch der direkte Gegner, den es auszulöschen gilt, um die Gruppe zu befriedigen. Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zunichtemacht, die Zeit, in der das Einverständnis und die Sympathie zugrunde gehen. Wenn wir ihn in uns erkennen, verhindern wir, dass wir ihn verabscheuen.“

Aber hilft diese Erkenntnis? Ist das Bemühen des Einzelnen um seine Abgründe nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Und wie soll der Versuch, das Verdrängte einer politisch entgleisten Gesprächskultur bei den Verantwortlichen selbst ins Bewusstsein zu bringen, funktionieren - ist doch der Psychoanalytiker der Fremde schlechthin. Sein Gebiet ist das Unbewusste - das, was sich nicht leicht begreifen, geschweige denn überhaupt anerkennen lässt.

Bau des Grenzzauns an der Slowenisch-Österreichischen Grenze nahe Spielfeld im Dezember 2015

APA - Erwin Scheriau

Bau des Grenzzauns an der Slowenisch-Österreichischen Grenze nahe Spielfeld im Dezember 2015

Angst vor der Psychoanalyse

Seit Sigmund Freud schon 1923 in „Das Ich und das Es“ formulierte, dass wir nicht Herr in unserem eigenen Hause sind, sondern der Großteil unseres psychischen Erlebens der bewussten Kontrolle entzogen ist, erhitzen sich über diese Feststellung immer wieder die Gemüter – neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, die das Unbewusste als Tatsache längst bestätigten, zum Trotz.

Psychoanalytiker sind und bleiben Verhasste, Gefürchtete oder auch Hochgeliebte, denn sie lassen sich mit dem Unbekannten ein und versuchen gemeinsam mit dem Einzelnen, Gefühle und Fantasien zu verstehen, die verstörend wie lustvoll sein können.

Dabei werden die Analytiker in ihren Fähigkeiten oft überschätzt und mit Propheten, Schamanen, Göttern, Teufeln, Scharlatanen und vielen mehr verglichen. Genau diese Zuschreibungen jedoch – Psychoanalytiker sprechen von „Übertragung“ - sind die Crux der Geschichte und wertvolles Material in jeder Behandlung.

Verborgene Bedeutungen

Dafür muss der Analytiker wie eine Leinwand sein und als Projektionsfläche für Fantasien und Gefühle aller Art zur Verfügung stehen. Nur dann kann sich das Unbewusste, und damit auch das Fremde im eigenen Erleben, zeigen.

Wer sich traut, lernt verstehen, dass Versprecher, Träume, Alltags-Schusseligkeiten und Projektionen oft eine verborgene Bedeutung haben.

Die Wiener Psychoanalytikerin Elisabeth Skale sieht aus diesem Grund den Psychoanalytiker nicht als öffentliche Person, sondern als einen Menschen, der einen geschützten Rahmen schafft, in dem Intimes, Rätselhaftes oder Bedrohliches der eigenen Psyche zu Wort kommen kann.

Dass dabei nur geschwiegen und zugehört wird, ist ein Klischee – die oft falsch verstandene Abstinenz des Psychoanalytikers. Die Frage ist, wer wie auf was hinhört und hindeutet.

Projektive Identifizierung mit dem Fremden

Ein Denkmodell der Psychoanalyse, in einem sehr spezifischen Hinhören auch Fremdenhass und Fremdenangst zu verstehen, ist das der „projektiven Identifizierung“.

Fremde rücken immer näher. Menschen auf der Flucht vor Krieg und unerträglichen Lebensbedingungen versuchen in unserer Gesellschaft zu landen. Sie setzen bei denen, die sie aufnehmen, ablehnen und integrieren, Fantasien aller Art in Gang – vor allem Ängste, die medial geschürt werden. Das Sprechen vom Notstand, das Hören und Sehen von Krisen und die politischen Diskurse über die Fremden sind tagtägliche Realität. Manche stumpft das inzwischen auch ab.

Elisabeth Skale erklärt mit Ideen der Analytikerin Melanie Klein, was passiert, wenn wir hassen, und wenn all das, was in uns lebt: Neid, Ekel oder Angst, zur Sache des Fremden wird und ihn bestimmt.

Dass dabei Mechanismen greifen, die Menschen schon als Säuglinge erfahren haben, eine Zeit, in der eigene Körpergefühle wie Hunger oder Frustration nach außen, also in die Mutter, projiziert werden, sind frühe, primitive Formen, mit dem Fremden fertig zu werden.

Erst wenn es gelingt, eigene Ambivalenz, Hass und Hass-Liebe, Angst und Angstlust, Bewunderung und Missgunst in einem und als Eigenes, Zusammengehöriges zu ertragen, kommt es zur psychischen Reifung. Dabei lässt sich mit Sigmund Freud eine Entdeckung machen: „Das Unbewusste ist das eigentlich reale Psychische.“

Flüchtlinge überqueren im Oktober 2015 in Neuhaus am Inn dier Grenze von Österreich nach Deutschland

APA/dpa-Zentralbild/Sebastian Kahnert

Flüchtlinge überqueren im Oktober 2015 in Neuhaus am Inn dier Grenze von Österreich nach Deutschland

Wie funktioniert projektive Identifizierung?

Vereinfacht gesagt funktioniert projektive Identifizierung so: Der eigene Hass, der eigene Neid, den wir bei uns selbst nicht lokalisieren und erkennen, spalten wir unbemerkt ab und übergeben ihm dem anderen: dem Ausländer, dem Fremden, dem Partner oder dem Chef – je nachdem.

Dieser Mechanismus läuft unbewusst, und der andere entpuppt sich allmählich als das, was man an sich selbst nicht sieht: als Hassender, als Fremder. Er hat sich mit dem Gefühl identifiziert, von dem wir selbst nicht mal eine Ahnung hatten, dass es überhaupt existiert.

Es geht auch um den Tod …

Aber bei Erfahrungen mit dem Fremden geht es auch um den eigenen Körper, der die gesamte Lebensspanne, je nach Alter, neue Lebenszustände erzeugt. Das radikal Fremde im Leben des Menschen ist dabei der Tod. Und jede Fremdenangst, verdrängt oder bedroht zu werden, leitet sich vom Verhältnis zum eigenen Tod und zum Tod der anderen ab.

Die Wiener Psychoanalytikerin Friedl Früh erklärt, wie im Sprechen über dieses Fremde-Körperliche, noch ganz andere Ängste auftauchen: die Angst vor den Veränderungen von Geburt bis zum Tod und die damit verbundenen psychischen Fähigkeiten und Schwierigkeiten, das Körper-Ich immer wieder als Fremdes und gleichzeitig Eigenes wahrzunehmen.

Das ist vor allem in der Pubertät so oder im hohen Alter, aber auch bei Krankheiten oder psychosomatischen Leidenszuständen. Sogar als Säugling, der erst verstehen und lernen muss, sich selbst von der Umwelt, von dem anderen, zu begreifen.

… und Sexualität

Aber auch die Sexualität selbst kann befremden – wie das erste Mal, der erste Kuss, der erste Samenerguss oder die Menarche. Dass sexuelle Empfindungen aus der Kinderzeit im Erwachsenen fortleben und als Rätsel in Konflikten mit dem Fremden aufblitzen, zeigt der Psychoanalytiker Thomas Aichhorn in der Wiederentdeckung von Albert Camus und seinem Werk „Der Fremde“.

Er spricht vom infantil Sexuellen im Moment des Mordes. Ein Mord, der sich letztlich als Selbstmord des Romanhelden Meursaults erweist. In der Plötzlichkeit seiner Tat meldet sich das unbewusste Sexuelle: Eine seltsame Erregung keimt auf und bleibt im gleichgütigen Sprechen bis zum Ende der Geschichte unheimlich. Was für Merusault zählt, ist der Reiz der sinnlichen Empfindungen, kein emotionales Verstehen, wenn ihn die Sonne blendet und er sein Gegenüber, einen Araber, erschießt.

Genau das aber, ein tieferes Verständnis für verborgene Gefühle des Seelenlebens zu erwecken, ist Aufgabe der Psychoanalyse: die Erfahrung auf der Couch, Instinkte, Triebe, Vorstellungen und Gedanken, in fühlendes Denken zu verwandeln. Wenn das gelingt, ist sich der Mensch fremd und vertraut zugleich.

Katrin Mackowski, Ö1-Wissenschaft

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