Gentechnik oder doch nur Zucht?

Ertragreichere Milchkühe und hitzeresistente Hühner: Neueste „Genscheren“ ermöglichen solche Wunscheigenschaften. Die Eingriffe ins Erbgut sind so raffiniert, dass es unklar ist, ob es sich dabei überhaupt um „Gentechnik“ handelt - und entsprechende Produkte gekennzeichnet werden müssen.

Milchbauern wünschen sich seit Langem hornlose Milchkühe. Die Tiere könnten sich selbst, andere Kühe und Menschen damit verletzen – darum werden die Hörner ausgebrannt oder anders entfernt. Eine durchaus schmerzhafte, aber routinemäßige Praxis.

Aber es gibt auch hornlose Rinder – Angusrinder zum Beispiel, die eher wegen ihres Fleisches geschätzt werden, haben keine Hörner. Bei ihnen gibt es eine natürliche Genvariante – ein Allel – das die Hornlosigkeit bestimmt und welches man auch in andere Arten einzüchten könnte.

“Präzisions- bzw. Schnellzucht“

Schneller ginge das mit einem direkten Eingriff in das Erbgut der Rinder, sagt auch Tad Sonstegard. Der Genetiker und wisssenschaftliche Leiter bei der Gentechnikfirma Acceligen/Recombinetics ist damit beschäftigt, solche Allele bei Rindern, Schweinen, Geflügel oder Fischen zu finden, die Probleme der Zuchtbetriebe lösen könnten – von äußeren Merkmalen bis zu Krankheitsresistenz:

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 30.11., 13.55 Uhr.

„Die Natur hat diese Allele oder Genvarianten hergestellt, es gibt sie schon bei anderen Tieren. Das Problem bei traditionellen Kreuzzüchtungen ist, dass man auch andere Allele bekommt, die einen Rückschritt bedeuten – wie weniger Milch oder dickeres Fell. Mit unseren Methoden schaffen wir das ohne Rückschritte.“

Schnellzüchtung oder Präzisionszüchtung nennt es Tad Sonstegard lieber, denn als genmodifizierten Organismus sieht er die bereits existierenden Modelltiere nicht. Sie haben Eigenschaften und Genvarianten, die sie auch auf natürlichem Weg - nur wesentlich komplizierter - bekommen hätten können, und können sie auch an folgende Generationen weitergeben. Denn danach wären wie bei üblichen Züchtungen die Merkmale in den Populationen enthalten.

Wirklich keine Gentechnik?

Natürlich sieht das nicht jeder wie Sonstegard: Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich mit einem ähnlichen Thema bei Pflanzen, seit im Vorjahr Frankreich eine Klage eingebracht hat, das auf Zulassung solcher Zuchtarten abzielt. Eine Art Grundsatzentscheidung, die auch Nutzvieh betreffen würde. Denn dabei geht es um Methoden, die gezielt auch einzelne Basenpaare verändern können, und nicht fremdes Erbgut einbringen.

Im Fall der Hornlosigkeit schaltet man ein paar davon aus. Sonstegard und Recombinetics/Acceligen setzen dabei als Methode auf TALEN, eine andere Variante einer „Genschere,“ ähnlich wie das meist öffentlich bekanntere CRIPSR-Cas9.

„Wir tendieren zu TALENs aus eine paar kleinen Gründen“, sagt Tad Sonstegard: Ein gewichtiger sei, dass es eine klare Lizenzvergabe für die TALEN-Methode gibt - und die sehr spezifisch konstruierten Moleküle etwas präziser arbeiten würden. Genau wie bei CRISPR-Cas9 ist aber eben noch unklar, ob diese neueren gentechnischen Methoden automatisch als „gentechnische Veränderung“ gelten sollen, oder ob man die europäische Richtlinie von 2001 überarbeiten muss.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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