Zuzug aus Afrika hat viele Gründe

Wenn von Migration aus Afrika die Rede sei, siegen oft Mythen über Fakten, so der Soziologe Max Haller am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion. Alarmistische Schlagzeilen werden der komplexen Realität nicht gerecht, so der einhellige Tenor von Afrika-Experten.

Insgesamt sei der Anteil der Afrikaner an der Zuwanderung in die OECD-Staaten eher gering, so Haller. Sicher sei aber, dass die Migration zugenommen hat und auch noch weiter zunehmen wird. Das liege am starken Bevölkerungswachstum in Zentral-, West- und Ostafrika, paradoxerweise aber auch am gestiegenen Wohlstand auf dem Kontinent, wie der seit langem in Afrika tätige Unternehmer und Berater Hans Stoisser anmerkte. Migration sei kein „Phänomen der Allerärmsten“, sondern ein Phänomen jener Menschen, die es sich erstmals „leisten“ könnten, an Auswanderung zu denken. Deswegen sei es auch ein Irrglaube zu meinen, mit Entwicklungshilfe könne man die Migration begrenzen. Je mehr Wirtschaftswachstum, desto mehr Migration, so Stoisser.

Flucht vs. Auswanderung

Auf den Umstand, dass man Auswanderung und Flucht nicht in einem Atemzug nennen sollte, wies die junge Politologin Nicolle Odongo hin, die als Siebenjährige von Kenia nach Deutschland kam. „Afrikaner, die nach Europa kommen, sind nicht allesamt auf der Flucht. Meine Mutter zum Beispiel hatte in Nairobi eine gute Stelle an der Universität. Sie ist aus privaten Gründen ausgewandert.“ Viele Afrikaner seien „neugierig und wollen neue Horizonte kennenlernen“. Die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder habe es möglich gemacht, dass immer mehr Menschen über Auswanderung nachdenken könnten.

Den Anteil der Auswanderwilligen solle man aber nicht überschätzen, fügt Haller hinzu. Sehr viele könnten sich vorstellen, nach Europa zu gehen. Nur wenige würden aber konkrete Schritte setzen. Die europäische Politik sollte auf diese auswanderungswilligen Menschen aktiver zugehen. „Europa hat in vielen Bereichen einen Arbeitskräftebedarf“, so Haller. Es müsste viel mehr Kooperation zwischen Afrika und Europa geben, etwa im Bereich der Ausbildung. Außerdem müsste der „eiserne Vorhang“ zwischen Nord und Süd abgebaut werden. „Wenn die Grenzen nicht so dicht wären, gäbe es viel mehr Zirkulationsbewegung.“ Die Menschen würden dann nicht unbedingt bleiben wollen, meinte Haller.

Alternatives „Narrativ“

Afrika und Migration, diese Verbindung sollte endlich positiv gedacht werden, wiederholte Stoisser mehrmals. „Es gehen vor allem diejenigen weg, die relativ schnell Arbeitsplätze finden.“ Die Migration sei auch für die afrikanischen Staaten ein Segen, denn die Rückzahlungen der Auswanderer übersteigen die Entwicklungshilfe bei weitem. Aber es sei sehr schwierig, den hierzulande kursierenden Bedrohungsszenarien ein alternatives „Narrativ“ entgegenzustellen.

Auch was den Bereich Flucht anbelangt, entsprächen die medialen Bilder oftmals nicht der Realität, ergänzt Walter Hajek vom Roten Kreuz. Wenn man sich die riesige Fluchtbewegung aus dem Südsudan ansehe, dann stelle man fest, dass 99 Prozent der Menschen in der Region bleiben würden. Nur ein Bruchteil komme nach Europa.

science.ORF.at/APA

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