Staatsgrundgesetz feiert 150. Geburtstag

Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Pressefreiheit und viele andere Grund- und Menschenrechte: Sie alle gehen in Österreich auf das Staatsgrundgesetz zurück, das genau heute vor 150 Jahren erlassen wurde.

In vollem Wortlaut hieß es „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“. Am 21. Dezember 1867 hat es Kaiser Franz Joseph unterschrieben, einen Tag später trat es in Kraft.

Das Gesetz enthielt 20 Artikel – darunter die Unverletzlichkeit des Eigentums, der freie Verkehr von Personen und Vermögen sowie Versammlungs- und Vereinsfreiheit. „16 der Artikel sind bis heute in Kraft“, sagt der Rechtswissenschaftler Thomas Olechowski von der Universität Wien.

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Nicht mehr gültig ist der Artikel, der die zeitweilige Aufhebung der Grundrechte erlaubte – etwa in Kriegszeiten. Genau dies ist im Ersten Weltkrieg geschehen, „weshalb man das nach 1918 aufgehoben und gesagt hat: Das darf nie wieder geschehen“, so Olechowski gegenüber science.ORF.at.

Folge von 1848

Das Staatsgrundgesetz mit seinen Grund- und Menschenrechten basiert auf den Forderungen des Revolutionsjahrs 1848. Erst zwanzig Jahre später und nach dem Ausgleich mit Ungarn wurden sie umgesetzt. Mit vier weiteren Staatsgrundgesetzen ist das Grundrechtsgesetz als Dezemberverfassung in die Geschichte der k.u.k.-Monarchie eingegangen – und sollte bis zu ihrem Untergang 1918 Bestand haben.

„Für die österreichisch-ungarische Monarchie war die Dezemberverfassung ein Wendepunkt“, sagt Olechowski. „Zwischen 1848 und 1867 gab es ständig Streit um das richtige Modell der Verfassung. Und auch wenn nicht alle damit zufrieden waren, gab sie dem österreichischen Teil der Monarchie ein halbes Jahrhundert lang doch eine stabile Grundlage.“

Faksimile des Original-Staatsgrundgesetzes von 1867

ONB

Faksimile des Original-Staatsgrundgesetzes von 1867

Provisorium, das bis heute hält

Nach dem Untergang des Habsburgerreichs wollten sich die Parteien der jungen Republik eigentlich auf einen neuen Grundrechtekatalog einigen. Dies gelang in wichtigen, ideologisch besetzten Fragen aber nicht: Etwa bei der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie bei der Stellung der Kirche zum Staat gab es keinen Konsens von Rot und Schwarz. Deshalb behielt man das Staatsgrundgesetz für die Bundesverfassung von 1920 als „Provisorium“ bei. „Und bei diesem Provisorium ist es bis heute geblieben“, so Olechowski.

In zwei Perioden des 20. Jahrhunderts hat das Staatsgrundgesetz nicht gegolten: im Austrofaschismus zwischen 1934 und 1938 sowie danach im NS-Regime. „1945 hat man bewusst auf eine neue Verfassung verzichtet und sich auf jene von 1920 berufen. Damit ist auch das Staatsgrundgesetz von 1867 wieder in Kraft getreten“, sagt der Rechtshistoriker. Wie wichtig es bis heute ist, zeigte der Verfassungsgerichtshof erst Anfang Dezember in seinem Urteil zur „Ehe für alle“. Es berief sich dabei auf den Gleichheitssatz, der in Artikel 2 des Staatsgrundgesetzes enthalten ist und lautet: „Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich.“

Heute drei Kataloge von Grundrechten

„Das Staatsgrundgesetz ist bis heute für alle Rechtsbereiche bedeutend“, sagt Olechowski. „Im Verwaltungsrecht, im Strafrecht, im Privatrecht: Überall spielen Grundrechte eine wichtige Rolle.“ Die Situation sei mittlerweile aber etwas kompliziert geworden, da es neben dem Staatsgrundgesetz auch noch die europäische Menschenrechtskonvention und die europäische Grundrechtecharta gebe: drei Grundrechtekataloge, in denen vieles ähnlich geregelt ist.

„Der Verfassungsgerichtshof hat den Grundsatz entwickelt, dass er immer jenes Grundrecht anwendet, das ein Maximum an Freiheiten für den Einzelnen gewährleistet. Wenn also etwas im Staatsgrundgesetz steht und in den beiden anderen nicht, wird das Staatsgrundgesetz verwendet, usw.“

Österreich war spät dran, aber dann Vorbild

Die ersten Grundrechte in Europa waren jene der französischen Menschenrechtserklärung von 1789. Viele andere Staaten folgten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Österreich war 1867 also nicht „früh dran“. „Dafür war der Stand der Grundrechte zu diesem Zeitpunkt schon besser entwickelt – vor allem weil es nun mit dem Reichsgericht ein Gericht gab, an das man sich wenden konnte, wenn die Grundrechte verletzt wurden“, erklärt Olechowski.

Tätig geworden ist das Reichsgericht 1869. „Unser Verfassungsgerichtshof hat nach Gründung der Republik alle Befugnisse des Reichsgerichts geerbt und einige mehr dazubekommen. Man konnte sich dann nicht nur darüber beschweren, wenn man der Meinung war, dass eine Verwaltungsbehörde ein Grundrecht verletzt hat, sondern auch wenn das der Gesetzgeber getan hat.“

Diese Idee geht auf den österreichischen Rechtswissenschaftler Hans Kelsen zurück. Weltweit haben mittlerweile mehr als 100 Staaten dieses Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit kopiert und übernommen. „Österreich hat dafür international viel Anerkennung bekommen“, so Olechowski.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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