Das Ende des Sex

Zumindest um Nachwuchs zu zeugen könnte Sex bald überflüssig werden, meint ein US-amerikanischer Bioethiker. Als Folge von Entwicklungen in der Genetik und Stammzellenforschung sieht er das Ende der natürlichen Fortpflanzung kommen.

„The End of Sex“ hat der Jurist und Bioethiker Henry T. Greely von der Universität Stanford etwas reißerisch als Buchtitel ausgerufen. Hauptsächlich um das Thema überhaupt aufzubringen, denn anders als bei manchen Technikthemen - von Drohnen bis zu Künstlicher Intelligenz - würden wir noch nicht so recht wahrnehmen, dass wir an der Schwelle einer großen Veränderung stehen, nämlich in Richtung einer neuen Fortpflanzungsmedizin, meint Greely

„Keine Superbabys“

Dabei gehe es um die Fortschritte in zwei Forschungsfeldern: Stammzellenforschung und Genetik. Bei Mäusen ist es schon gelungen, aus Hautzellen Stammzellen zu machen - die sich dann zu Spermien und Eizellen und auch Nachwuchs weiterentwickeln ließen. Andererseits lässt sich das Erbgut mehrerer Embryonen relativ schnell auf bekannte Erbkrankheiten oder Risiken untersuchen. Die Preise dafür würden wohl noch weiter fallen, meint Greely.

Die Konsequenz daraus sind aber nicht dystopische Fantasien zu genetisch modifizierten Menschen wie im Roman „Schöne Neue Welt“ oder dem Science Fiction Film „Gattaca“, sagt Greely. Betrachtet man Vor- und Nachteile der Technologien nüchterner, sieht man etwas anderes am Horizont: keine Superbabys, sondern etwas gesündere Kinder.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 15.1., 13:55 Uhr.

Nämlich das gesündest mögliche, ausgesucht aus hunderten Embryonen desselben Paares, gemacht aus einfachen Zellproben. Also nicht nur ohne Geschlechtsverkehr, sondern ganz ohne natürliche Spermien oder Eizellen. Und mit potenziell vielen Sorgen und Gesundheitsrisiken weniger, sowohl für Mütter als auch Kinder.

Was eben nicht genetisch maßgeschneidertem Nachwuchs gleichkommt: Wenn beide Eltern blaue Augen haben, bekommen sie so trotzdem kein Kind mit braunen Augen. Oder eines, das weit größer, schöner und intelligenter wäre als sie selbst - so etwas wäre gesellschaftlich wie auch medizinisch ein viel größerer Schritt, sagt Henry Greely. Und damit auch in weiterer Ferne - egal, ob es technologisch möglich wäre. Wovon er spricht, sei im Prinzip jedoch einfach eine Erweiterung der heute üblichen In-Vitro-Fertilisation.

Kleiner Schritt mit großen Folgen

„Unfruchtbaren Paaren mit Kinderwunsch würde man wahrscheinlich ohne große Diskussion die Möglichkeit dazu einräumen“, schätzt der Jurist und Bioethikprofessor. Denn – sofern die Methode als sicher gilt – das ist kein sehr großer Schritt: Warum bei gewissen Formen der Unfruchtbarkeit Halt machen, wenn man eine Lösung hat - und im Prinzip danach dasselbe passiert wie bei der künstlichen Befruchtung.

Gleichzeitig wäre der Vorgang selbst vor allem für Frauen weit weniger aufwändig und gesundheitsgefährdend. Keine Hormonbehandlung mehr, um Eifollikel wachsen zu lassen und zu „ernten“, kein daraus entstehendes Unwohlsein oder folgende Gesundheitsprobleme . Gefragt wären stattdessen dann nur ein paar Hautzellen.

Rational also spreche einiges dafür, meint Greely. Aber gleichzeitig birgt dieser kleine Unterschied revolutionäres Potenzial. Plötzlich könnten Frauen – und Männer genauso – viel später und mit weniger Risiken Eltern werden, eventuell könnten homosexuelle Paare gemeinsame Kinder zeugen, und ein paar Zellen würden reichen, um jemanden ungewollt zu Vater oder Mutter zu machen.

Gleichzeitig könnte mit einem besseren Verständnis von genetisch basierten Gesundheitsrisiken sozialer Druck entstehen, als „gute Eltern“ schon früh für die spätere Gesundheit des Kindes zu sorgen. In manchen Staaten könnte daraus vielleicht sogar gesetzlicher Druck werden, setzt Greely nach, der die Angelegenheit gerne mit der Geschichte des Impfens vergleicht.

Sehr frühe Gesundheitsvorsorge

Als die Methode der Impfung neu war, wurde das allgemein eher kritisch beäugt, erzählt Greely. Heute handhabt jeder Staat Impfungen unterschiedlich. Impfungen gegen manche Krankheiten werden empfohlen, andere vorgeschrieben, manche auch bezahlt. Es gibt aber genauso immer noch Menschen, die sich gegen Impfungen verwehren, während man im breiten gesellschaftlichen Konsens Impfungen vertraut, und sie sich durchgesetzt haben.

Greely glaubt, dass schließlich nach genügend Zeit die Mehrheit der Bevölkerung das großangelegte genetische Screening der unaufwändig geschaffenen Embryos - ähnlich wie das Impfen - als Gesundheitsvorsorge und sogar neue Form der Fortpflanzung akzeptieren wird. Natürlich: Die Zukunft könnte viele andere Wege nehmen. Aber diese oder eine ähnliche Technologie wird existieren, ist Greely überzeugt. Und sie wird einen gesetzlichen Rahmen brauchen, der ihre Vorteile zulässt und schädliche Auswirkungen eindämmt.

Zeit für Debatten

„Wenn das erste Kind auf diese Weise zur Welt kommt, ist es zu spät für eine ruhige Diskussion. Dann herrscht Schock, dann kommt es zu emotionalen Reaktionen, Regierungen werden rasch Gesetze machen, die nicht gut durchdacht oder ausgewogen vorbereitet sind“, sagt er.

Ob das in fünfzehn Jahren oder dreißig Jahren sein wird, kann man heute nicht sagen, aber es gelte davor eine öffentliche Debatte zu führen, um Gedankenspiele zuzulassen und sich eine Meinung zu bilden - darüber, wer Zugang zu der Methode haben soll, auf welche Krankheiten oder Eigenschaften überhaupt gescreent werden darf oder wie das Gesundheitssystem mit den neuen Möglichkeiten umgehen soll.

Greely zum Beispiel denkt, dass Krankenversicherungen diese Methode wahrscheinlich fördern würden, um sich Folgekosten zu ersparen - was dann durch allgemeinen Zugang erst recht das Ende der geschlechtlichen Fortpflanzung einläuten könnte.

Auf der anderen Seite besteht genauso die Gefahr, dass nur Eliten sich die gesünderen Babys leisten können, und damit eine Spaltung der Gesellschaft droht. Denn auch, wenn es nicht um Supermenschen geht, ist es natürlich trotzdem ein Vorteil, wenn eine Gruppe deutlich gesünderen Nachwuchs bekommt als andere. Wenn sich also neben Reichtum sozusagen auch Gesundheit weitergeben ließe. Oder wiederum die andere Seite dieser Medaille – was wenn die Gesundheit nur trügerisch ist, und sich vielleicht Generationen später Probleme ergeben, die man nicht erwartet hat?

Henry Greely will, dass wir erkennen, dass diese fern klingende Zukunft näher ist als wir glauben, damit wir uns damit auseinandersetzen. Er weiß, dass ihn selbst das alles kaum mehr betreffen wird. Aber eine umfassendere Frage der Bioethik als diese Kombination aus wachsendem genetischen Verständnis und neuen Reproduktionsmöglichkeiten wird sich nicht so bald stellen, meint der Bioethikprofessor. Dass die Entwicklungen das Ende des Sex einläuten, glaubt aber auch er selbst nicht so ganz.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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