Babys betreiben mentales Training

Viele Eltern kennen diesen überraschenden Moment: Scheinbar über Nacht hat ihr Nachwuchs krabbeln, gehen oder reden gelernt. Gehirnstrommessungen zeigen nun: In Wahrheit trainieren die Babys schon längst dafür.

Tatsächlich verläuft die Entwicklung bei den allermeisten Babys nicht linear, sondern eher sprunghaft. Plötzlich ergreifen sie das erste Mal ein Spielzeug, drehen sich eigenständig auf den Bauch oder produzieren erkennbare Wörter, nachdem sich tagelang kaum etwas getan hat. Entwicklungspsychologen gehen schon länger davon aus, dass diese Fortschritte aber nur scheinbar über Nacht geschehen. Vermutlich bereiten sich die Babygehirne langfristig auf die neuen Fähigkeiten vor. Sie üben gewissermaßen im Stillen.

Diese These haben die Forscher um Koraly Perez-Edgar von der Pennsylvania State University nun mit Hilfe von Gehirnstrommessungen untersucht. Insgesamt 28 Babys haben sechs Monate an den regelmäßigen Experimenten teilgenommen, bis sie ein Jahr alt waren.

Versteckspiele

Die Tests folgten einem klassischen entwicklungspsychologischen Konzept nach Jean Piaget (A-nicht-B-Suchfehler). Dabei versteckten die Forscher Spielzeug abwechselnd in unterschiedlichen Behältern, und die Kinder mussten sie finden.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 17.1. um 13.55.

So lässt sich unter anderem feststellen, inwieweit Babys bereits über eine sogenannte Objekt- bzw. Personenpermanenz verfügen - d.h., ob sie wissen, dass Gegenstände und Menschen weiterhin existieren, auch wenn diese nicht mehr zu sehen sind - eine recht komplexe kognitive Leistung. Dieser Entwicklungsschritt wird in der Regel zwischen dem achten und zwölften Lebensmonat vollzogen.

Stetiger Lernprozess

Im Untersuchungszeitraum wurden auch laufend die Gehirnströme aus unterschiedlichen Regionen aufgezeichnet. Das beobachtbare Verhalten bei den Experimenten entsprach den Alltagserfahrungen von Betreuern: Bei den meisten kleinen Probanden gab es zu Beginn und am Ende der halbjährigen Untersuchungsperiode kaum eine sichtbare Veränderung. Irgendwann zwischen dem siebten und elften Lebensmonat hatten hingegen fast alle einen sprunghaften Entwicklungsfortschritt gemacht. Plötzlich meisterten sie die Tests ohne langes Nachdenken und Zögern.

Die Gehirnaktivität zeichnete hingegen ein ganz anderes Bild. Es gab zwar Unterschiede zwischen den Babys - vor allem im Tempo, aber bei allen waren lineare und keine sprunghaften Veränderungen messbar. Das lege nahe, dass Babygehirne für neue Fertigkeiten, die äußerlich plötzlich sichtbar werden, in Wahrheit konstant trainieren.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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