Musik: Nur manchmal eine „Universalsprache“

Ein musikalisches Großexperiment zeigt: Tanz- und Wiegenlieder sind quer durch alle Kulturkreise verständlich. Liebeslieder hingegen nicht - sie klingen für fremde Ohren bisweilen kaum nach Liebe.

Schon früh haben Menschen ihren Kindern Melodien vorgesungen, um sie in den Schlaf zu wiegen. Eine der ersten Niederschriften geht auf das Jahr 2000 vor Christus zurück. Starke Rhythmen wiederum sollten seit jeher zum Tanzen anregen. „Wir wollten wissen, ob Lieder mit einem bestimmten Zweck auch bestimmte Eigenschaften haben, auf die Menschen gleich reagieren“, erklärt der Studienautor und Evolutionsbiologe Manvir Singh von der Harvard Universität.

Die Studie

Form and Function in Human Song, Current Biology, 25.1.2018

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Thema in „Wissen aktuell“ am 26.1. um 13:55.

Um das herauszufinden, haben er und sein Kollege, Harvard-Psychologe Samuel Mehr, 118 Lieder von 86 verschiedenen Jäger-Sammler-Gesellschaften, Bauern und anderen kleineren Völkergruppen gesammelt und sie in kurzen Hörproben von Menschen weltweit online beurteilen lassen. Im Repertoire hatten die Forscher neben Wiegen- und Tanzlieder auch Liebeslieder sowie Heilmelodien. Jedes Beispiel war dabei nur 14 Sekunden lang zu hören.

Hörprobe: Tanzlied der Yolngu, Australien

„Um eine mögliche Voreingenommenheit zu vermeiden, haben wir den Zuhörern auch noch zwei weitere Antwortoptionen gegeben, die tatsächlich nicht vorkamen. So haben wir auch gefragt, ob das Lied - auf einer Skala von eins bis sechs - eine Geschichte erzählt oder Tote betrauern soll“, erklärt der Evolutionsbiologe Singh.

Liebe ist schwer zu erkennen

Tatsächlich tappten einige der insgesamt 750 Teilnehmer in die „Falle“ und hielten Liebeslieder eher für eine musikalische Erzählung denn für ein Liebeslied. Generell konnte aber kaum jemand ein Liebeslied als solches erkennen, was sich die Forscher so erklären: „Es könnte sein, dass es bei Liebesliedern weniger um ein bestimmtes Tempo geht oder wie komplex die Melodie ist. Sondern dass hier Wörter wichtiger sind - deshalb dachten womöglich viele, hier wird eine Geschichte erzählt.“

Hörprobe: Liebeslied der Highland Scots, Großbritannien

Dass Heillieder wiederum keine Liebeslieder sind, war für die meisten zwar klar. Aber auch hier fiel es einigen Hörern schwer, den Zweck der Melodie zu erfassen.

Anders bei Tanzliedern sowie Wiegenliedern - sie konnten die Hörer wiederum eindeutig zuordnen. Warum das so ist, wissen die Forscher nicht. Sie haben aber ihre Theorien: „Es zeigt, dass Menschen weltweit psychologisch so ähnlich sind, sodass sie bei bestimmten Rhythmen und Sounds tanzen wollen.“

Hörprobe: Heillied der Otavalo Quichua, Zentralanden

Dasselbe gilt im umgekehrten Sinn auch für Schlaflieder, so die Forscher. Demnach reagierten die Zuhörer aus den USA, Indien oder Portugal auf einen bestimmten Stimulus, der Babys einschlafen lässt. „Auch hier gibt es unterschiedliche Theorien, warum das so ist. Sicher ist man hier nicht“, so Singh.

Rhythmen sind eindeutig

Dass Menschen vor allem auf eindeutige Rhythmen und Melodien reagieren, versuchten die Forscher in einem zweiten Experiment zu zeigen. „Wir wollten wissen, ob die Teilnehmer den Zweck des Liedes nach der Anzahl an Instrumenten beurteilen oder danach, wie viele Sänger zu hören sind oder wie das Tempo, die Melodie oder die Komplexität des Songs ist.“

Hörprobe: Schlaflied der Saami, Skandinavien

Ihr Fazit: Wiegenlieder wurden als langsamer empfunden, ihre Melodie und ihr Rhythmus als weniger komplex und der Takt als weniger beständig eingestuft. Schnell, rhythmisch komplex und rasant waren hingegen Attribute für Tanzlieder. „Diese beiden Genres scheinen in ihrer Grundstruktur exakt gegengleich zu sein.“

Es gab in den Liedern aber noch etwas, was die Forscher mit ihren Fragen nicht messen konnten. „Vielleicht gehen die Menschen auf die Art der Performance ein oder wie Rhythmus und Melodie, Stimmen etc. interagieren. Das wollen wir noch genauer herausfinden.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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