Pestizide, eine unterschätzte Gefahr

In „Unser täglich Gift. Pestizide - die unterschätzte Gefahr“ zeichnet Johann Zaller ein beunruhigendes Bild landwirtschaftlicher Praktiken und deren Folgen. Der Ökologe geht mit gängigen Agrarmethoden, der Politik und auch Teilen der Wissenschaft mitunter hart ins Gericht.

Wer weiter beschwingt gustierend durch die Gemüse- und Obstregale schlendern möchte, sollte von der Lektüre des Wissenschaftlers vom Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien eher absehen. Bereits nach wenigen Seiten schafft es Zaller, der sich in den vergangenen Jahren in mehreren in namhaften Fachjournalen publizierten Studien mit den Auswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt auseinandergesetzt hat, nachhaltig Gedanken daran zu platzieren, wie oft diese oder jene Frucht mit diversen Mitteln zur Schädlingsbekämpfung in Berührung kam. Bei Äpfeln könne das immerhin mehr als 20-mal der Fall sein, berichtet Zaller, und beginnt damit seinen Exkurs.

Große Wissenslücken

Warum das von Erzeugern immer wieder ins Spiel gebrachte Argument, dass es sich bei Pestiziden um die am besten untersuchten Substanzen handle, für den Forscher unhaltbar ist, legt er immer wieder dar. Im Mittelpunkt stehen dabei neben mittlerweile vielerorts verbotenen Wirkstoffen die nunmehr auch zu politisch brisanten Dauerthemen gewordene Substanz Glyphosat und die Gruppe der Neonicotinoide.

Buchhinweis

Johann G. Zaller: Unser täglich Gift. Pestizide - die unterschätzte Gefahr. Deuticke, 240 Seiten, 20 Euro.

Dabei zeigt Zaller auf, wie wenig eigentlich über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen dieser Substanzen und vor allem von Substanzcocktails bekannt ist, die in Feld, Wald und Wiese ausgebracht werden. Was die Auswirkungen auf gesamte Ökosysteme betrifft, ortet er noch größere Wissenslücken. Gleichzeitig steigt vielerorts aufgrund von Resistenzen die Menge an ausgebrachten Pestiziden.

Der Leser erhält Einblicke in die Praxis der Zulassung der Mittel, wo es im Prinzip in der Verantwortung der Unternehmen selbst liegt, jene Daten beizubringen, auf deren Basis über die Zulassung entschieden wird. Einmal auf dem Markt weist Zaller auf die unglaubliche Flexibilität von erlaubten Rückstandswerten in der Nahrung hin. So erfuhr dieser Wert für Glyphosat in Sojabohnen in Europa seit 1999 eine 200-fache Erhöhung. Das liege allerdings nicht daran, dass etwa neue wissenschaftliche Daten zur Unbedenklichkeit vorlägen. Es habe schlichtweg damit zu tun, dass die alten Grenzwerte nicht mehr erreicht wurden und Produkte nicht mehr zum Verkauf zugelassen worden wären.

Auswege aus der Misere

In weiterer Folge geht der Ökologe der Frage nach, wie sich die Omnipräsenz der Pestizide auf Natur und Mensch auswirkt. Hier skizziert er auch offenherzig seinen eigenen Weg zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. In Studien hat sich Zaller vor allem mit der Wirkung auf wichtige Bodenlebewesen beschäftigt - mit teils beunruhigenden Ergebnissen. Besonders interessant sind seine Schilderungen der Reaktionen von Medien, Lobbyverbänden, Bloggern, Vertretern der Behörden und der Politik nach der Veröffentlichung brisanter Ergebnisse.

Während Zaller manche Kapitel noch in relativ wissenschaftlich-distanziertem Ton beginnt, kann der Leser dem Forscher quasi dabei zuhören, wie er sich in der Aufzählung diverser unglaublicher Begebenheiten zunehmend schwertut, Distanz zu wahren. Das wirkt zwar erfrischend authentisch, öffnet womöglich aber Einfallstore für Kritik von Branchenvertretern.

Nachdem der Wissenschaftler der Beschreibung des Status quo viel Raum gegeben hat, skizziert er durchaus ermutigend Auswege aus der Misere. Insgesamt braut Zaller jedoch einen herben Cocktail aus unangenehmen Daten, Fakten und Einschätzungen zusammen. Bleibt zu hoffen, dass sich in einer etwaigen Diskussion über das Buch der eine oder andere Schleier um das Wissen und vor allem das umfassende Nichtwissen zu den Auswirkungen des unbestritten großflächigen Einsatzes von „Helferlein“ in der Landwirtschaft hebt.

Nikolaus Täuber, APA

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