Als Ärzte zu Tätern wurden

Der „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland am 12. März 1938 hatte auch auf die heimische Wissenschaft massiven Einfluss: Eine Ausstellung rekonstruiert, wie Ärzte zu "Schändern der ihnen anvertrauten Menschen wurden“.

Etwa die Hälfte aller Lehrenden sowie zahlreiche Assistenten und Studierende der Medizinischen Fakultät der Uni Wien, vor allem jüdischer Herkunft, wurden 1938 brutal vertrieben und in Konzentrationslager verfrachtet. Viele von ihnen wurden dort ermordet. In den nachfolgenden Jahren durchdrang die NS-Ideologie die Medizin - Täter in den Reihen der Medizinischen Fakultät konnten ungehindert Karriere machen, widmeten sich teils grausamen Menschenversuchen und wurden für ihre Arbeit geehrt.

„Rassenhygiene“ und Menschenversuche

Die Ausstellung „Die Wiener Medizinische Fakultät 1938-1945“ am Josephinum in Wien fokussiert auf die Rolle der universitären Medizin: Rund 150 Exponate zeugen von der Durchsetzung der „Rassenhygiene“, der Militärmedizin und der Euthanasie an Psychiatrie-PatientInnen im Nationalsozialismus. Auch Tragödien von vertriebenen jüdischen Ärzten werden dargestellt.

Patientenbuch aus der Ausstellung „Die Wiener Medizinische Fakultät 1938-1945“

Martha Georgiew/ORF

Patientenbuch aus der Aussstellung

Neben pseudo-medizinischen Experimenten wurde auch Forschung betrieben, die noch lange Anwendung fand, sagt Herwig Czech, Kurator der Ausstellung und Medizinhistoriker an der MedUni Wien im Gespräch mit science.ORF.at.

Czech nennt beispielsweise die „Topographische Anatomie des Menschen“ von Eduard Pernkopf. Der NS-Arzt erhielt 1.300 Leichen von Menschen, die der NS-Justiz zum Opfer gefallen waren. „Der Entstehungskontext des Pernkopf-Atlas verdeutlicht ein Spannungsfeld in der Medizin, wie geht man mit so einem Erbe um? Das darf man nicht vergessen,“ so Czech.

„Bibliothek der Vertriebenen“

„Die Bibliothek der Vertriebenen“ ist eines von vielen Exponaten der Ausstellung. „Wir widmen jedem Lehrenden der Universität, der aus rassischen Gründen vertrieben wurde, ein Gedenkbuch mit Biografie und Fotos. Die Besucher und Besucherinnen können darin ihre Gedanken notieren sowie zusätzliche Information zum Lebensweg dieser Person, wenn vorhanden“, erklärt Czech.

Bücher aus der Ausstellung „Die Wiener Medizinische Fakultät 1938-1945“

Martha Georgiew/ORF

Die „Bibliothek der Vertriebenen“

Viele Ärzte wurden damals zu Tätern, die entgegen ihres Eids nicht zum Wohle des Patienten agierten, vielmehr gegen jegliche Würde des Menschen verstießen – oder wie es in der Begleitbroschüre zur Ausstellung zu lesen steht: „Viele dieser Ärzte sind aber gerade in der Ära des Nationalsozialismus vielfach zu Schändern der ihnen anvertrauten Menschen geworden.“

Die Ausstellung soll Angehörige der Universität, insbesondere junge Studierende, an die damaligen Ereignisse erinnern. „Es ist immer eine Möglichkeit, dass die ethischen Beschränkungen und Grenzen in der Medizin überschritten werden. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Medizin und eine Selbstreflexion sind notwendig“, sagt Czech. Die Auseinandersetzung mit der NS-Medizin ist demnach noch lange nicht am Ende.

Martha Georgiew, science.ORF.at

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