„Haarsträubende“ Klimapolitik

Ist das Klima noch zu retten? Der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf vermisst entschiedene Maßnahmen: Das Agieren der Trump-Administration hält er für „haarsträubend“, in Europa ortet er „Lippenbekenntnisse“.

science.ORF.at: Herr Rahmstorf, wie wahrscheinlich ist die Einhaltung des Pariser Abkommens - also die globale Erwärmung unter 1,5 bzw. zwei Grad zu halten?

Stefan Rahmstorf: Dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Denn die Erwärmung liegt bereits jetzt 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Realistischer ist es, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Aber selbst das erfordert sehr ambitionierte und wirklich rasche Anstrengungen, die man bisher nur in Ansätzen erkennen kann.

Zur Person

Stefan Rahmstorf forscht in den Fächern Ozeanographie und Klimageschichte an der Universität Potsdam sowie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Am 14.3. hielt er auf Einladung der IG Windkraft einen Vortrag in Wien.

Wer hat versagt?

Stefan Rahmstorf: Fast alle haben versagt, muss man ehrlicherweise sagen. Auch die deutsche Bundesregierung. Die war ja einmal ein Vorreiter im Bereich Klimaschutz: Die Förderung der erneuerbaren Energien war durchaus eine Erfolgsgeschichte, nur hat es Deutschland versäumt, die Kohlekraftwerke abzuschalten.

Reden wir über konkrete Zahlen: Die deutsche Energiestrategie sieht vor, die CO2-Emissionen bis 2050 um mindestens 80 Prozent zu senken. Würde das genügen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen?

Stefan Rahmstorf: Nein, man müsste bis 2050 null Emissionen anstreben. 80 Prozent Reduktion sind mit dem Pariser Abkommen nicht vereinbar. Zusätzlich muss man berücksichtigen: Die Entwicklungs- und Schwellenländer sind natürlich der Überzeugung, dass die Industriestaaten - die historisch ja für den größten Teil der Emissionen verantwortlich sind - noch schneller reduzieren müssen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer besitzen auch nicht die finanziellen Ressourcen, sich so schnell umzustellen. Für diese Länder muss es die Möglichkeit geben, ein bisschen Wachstum nachzuholen.

Ist das realistisch?

Stefan Rahmstorf: Klimagerechtigkeit und Ausgleichzahlungen für Klimaschäden waren bei den UNO-Klimaverhandlungen immer schon ein großes Thema. Die Situation ist vertrackt: Denn die Hauptverursacher der Emissionen zeigen bislang wenig Bereitschaft, den Hauptopfern finanziell zu helfen.

Klimaforscher Stefan Rahmstorf

Czepel/ORF

Stefan Rahmstorf im Interview: „Ich bin frustriert“

Hat auch die Wissenschaft in diesem System versagt?

Stefan Rahmstorf: Die Wissenschaft hat frühzeitig und klar erklärt, was Sache ist. Ich erinnere daran, dass der erste offizielle US-Expertenbericht an den damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson im Jahr 1965 vor der globalen Erwärmung gewarnt hat. Und es hat genau 50 Jahre gedauert, bis das Pariser Abkommen beschlossen wurde. In diesem Zeitraum sind unzählige Berichte erschienen. Der IPCC hat sehr eindringlich erläutert, was die Wissenschaft über den Klimawandel weiß. Dass der Mensch Hauptverursache ist, wissen wir seit Jahrzehnten.

Sendungshinweis

Mit Stefan Rahmstorf sprach auch das Ö1-Mittagsjournal: Beitrag vom 16.3.2018.

Nur gibt es in den Sachstandberichten des IPCC auch Modelle, die mit sogenannten negativen Emissionen rechnen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn man der Atmosphäre aktiv CO2 entziehen könnte - doch das ist sehr unsicher. Hat die Wissenschaft die Politik verführt, sich in Sicherheit zu wiegen?

Stefan Rahmstorf: Die Ökonomen und Energieforscher, die solche Szenarien rechnen, haben diese Annahme in ihrer Verzweiflung getroffen. Sie haben Recht, um das CO2 in nennenswertem Ausmaß aus der Atmosphäre zu entfernen, bräuchte es riesige Mengen an Biomasse. Die dafür nötigen Landflächen stehen nicht zur Verfügung. Wir werden es ohnehin nicht leicht haben, die wachsende Weltbevölkerung mit den existierenden Landflächen zu ernähren.

Biomasse funktioniert nicht wie erhofft, die technische CO2-Abscheidung und -Speicherung ebenfalls. Ist es unredlich, mit solchen Größen globale Szenarien zu berechnen?

Stefan Rahmstorf: Nein, von Unredlichkeit würde ich nicht sprechen. Vielleicht waren manche der beteiligten Ökonomen und Energieforscher zu optimistisch. Was Bioenergie angeht, gab es immer wieder mal Hoffnungsträger: Zum Beispiel Jatropha - das ist eine Pflanze, die eine ölhaltige Nuss erzeugt und auf sehr kargen Böden wachsen könnte. Bei Projekten in Indien stellte sich heraus: Jatropha wächst tatsächlich auf Böden, die für den Nahrungsanbau ungeeignet sind, nur erzeugt sie unter diesen Bedingungen keine energiereichen Nüsse.

Eine andere Erklärung wäre: Es gibt diese Modelle, weil dafür Nachfrage besteht. Hat sich die Wissenschaft mit der Politik ins Bett gelegt?

Stefan Rahmstorf: Für mein Fach, die Klimaforschung, kann ich das klar verneinen. Wir haben immer klar gesagt, was Sache ist. Und sind damit, wenn ich ehrlich bin, mit der Politik ziemlich angeeckt.

Sonnenaufgang hinter Steinkohlekraftwerk

APA/dpa/Julian Stratenschulte

Die Kohlekraftwerke laufen weiter - etwa in Deutschland und Polen

Angenommen, Sie wären der Präsident der Welt. Wie würde Ihre Klimastrategie aussehen?

Stefan Rahmstorf: Ich glaube, ich wäre ein schlechter Präsident. Ich bin Wissenschaftler, als Politiker braucht man ganz andere Qualitäten. Davon abgesehen: Das Entscheidende für mich wäre, dass man den Fakten ins Auge blickt. Das sollte die Priorität der Politik sein, denn wir haben es mit einer noch nie dagewesenen Bedrohung der menschlichen Zivilisation zu tun, in die wir langsam aber sicher hineinlaufen. Der Pariser Vertrag zeigt ja, zumindest nach den Unterschriften: Die Politiker wissen das. Was konkrete Politikmaßnahmen betrifft, bin ich kein Experte. Eines ist aber klar: Solange wir fossile Energien subventionieren, kann niemand behaupten, wir hätten versucht auszusteigen.

Wenn die Fakten bekannt sind - was anzunehmen ist - und sich die Regierungen in der Praxis dennoch anders orientieren: Macht sich da ein Gefühl der Machtlosigkeit breit?

Stefan Rahmstorf: Ich bin sehr frustriert, muss sich sagen. Es gibt zwei Arten von Frustration: Der eine Bereich sind jene Leute, die Fakten aggressiv leugnen. Das sehen wir jetzt in der Trump-Administration, dort besetzen die Leugner des menschengemachten Klimawandels alle Schaltstellen. Für einen Wissenschaftler ist es natürlich haarsträubend, was da alles behauptet wird. Und dann gibt es noch Politiker, die Lippenbekenntnisse ablegen - hier zähle ich auch die deutsche Bundesregierung dazu: Sie leugnen die Fakten nicht und sagen: Ja, das ist alles ganz schlimm und wir unternehmen etwas gegen den Klimawandel. Aber die Emissionen sinken eben doch nicht oder nicht schnell genug. Das ist vielleicht noch gefährlicher, weil man dem argumentativ schlechter begegnen kann.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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