„Kühle“ Wälder stärker gefährdet als Regenwald

Nicht Tropenwälder sind am stärksten durch Misswirtschaft und Folgen der Klimaerwärmung bedroht, sondern „kühle Wälder“ in nördlichen Gefilden: Darauf macht ein Experte bei einer Tagung von Erdwissenschaftlern in Wien aufmerksam.

„Unser ganzes Augenmerk ist auf die Tropen gerichtet, dort gibt es Programme, um Abholzung zu reduzieren, und Aufforstungssysteme, aber im Norden schaut keiner hin“, sagte Florian Kraxner vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. Wo keine Beobachter sind, würde oft zumindest fragwürdiges Management betrieben. Dies gelte zum Beispiel für die borealen Wälder in Russland und Kanada.

Monokulturen anfälliger für Borkenkäfer und Co

In den skandinavischen Ländern sorge man sich zwar sehr um die Wälder, aber das dortige Bewirtschaftungssystem ist sehr intensiv und vernachlässigt die Artenvielfalt, meint er. „Bei uns schneidet man vereinzelt Bäume aus dem Wald, fällt sie über dem Stumpf, gewinnt den wertvollen Schaft und lässt die Äste, die ohnehin kaum einen Ertrag bringen, meist im Wald verrotten“, erklärte Kraxner am Rande der Generalversammlung der European Geosciences Union

Erst wenn nachwachsende, junge Bäume die Löcher im Blätterdach gefüllt haben, holt man andere aus dem Altbestand heraus. „In Skandinavien reißt man aber nach dem Absägen sogar noch den Stumpf mit dem Caterpillar aus, um auch ihn und die dicken Wurzeln zu nutzen“, sagte er. Anschließend entstehen Monokulturen, die anfällig auf Störungen sind.

Diese treten durch den Klimawandel vermehrt auf. „Er bringt verstärkte Extremereignisse wie starke Niederschläge und Stürme, außerdem drohen Borkenkäfer-Ausbrüche, Pilze und Krankheiten, die man vorher nicht gekannt hat, weil die Winter lange und kalt waren, das einst perfekt eingespielte System“, so Kraxner. Durch die milden Winter seien zum Beispiel die Borkenkäfer in Kanada von der Westküste über die Rocky Mountains ins Landesinnere gelangt, und auch in Russland arbeiten sie sich stetig voran. Zurück bleiben zerfressene Bäume und tote Wälder. „Dabei bräuchten wir die Wälder gerade jetzt vermehrt als Kohlenstoffspeicher“, erklärt er.

Permafrostböden tauen auf

Im Norden und den Alpen wachsen die Bäume wegen der kälteren Temperaturen viel langsamer nach als etwa in den Tropen. Die Wälder in den Alpen auf etwa 1.500 bis 2.000 Metern Seehöhe seien sehr gut vergleichbar mit den borealen Wäldern, es ist also von den Klimabedingungen quasi egal, ob man vertikal in die Höhe geht oder die geografische Breite zunimmt.

Während man die Forste aber vor Ort managen und möglichst widerstandsfähige, nachhaltig bewirtschaftete Wälder schaffen kann, ist ein anderes Problem der borealen Zone nur durch sofortige globale Maßnahmen abzuschwächen: das Auftauen der Permafrostböden. Das geschieht aber auch in den Alpen. „In Folge hatten wir in jüngster Zeit fast im Monatsrhythmus Bergstürze, die ganze Dörfer von der Verpflegung und Versorgung abgeschnitten haben, die Bevölkerung und Touristen waren eingeschlossen, und es gibt auch bei Bergsportlern immer mehr Unfälle durch Steinschlag“, berichtete der Forscher.

Aufforsten ist Teil der Klimapolitik

Während in den borealen Wäldern keine Menschen direkt gefährdet sind, ist ein Auftauen der Permafrostböden dort viel klimarelevanter. In ihnen sind Unmengen von CO2 und Methan gespeichert, und wenn sie freigesetzt würden, wäre eine weitere Spirale der Erwärmung im Laufen. „Wir müssen in diesem Fall genau bei uns ansetzen und eigentlich sofort aufhören, CO2 zu emittieren“, sagt Kraxner.

Dazu sollten sämtliche Energiesysteme und Transportmittel so schnell wie möglich „fossilfrei“ funktionieren. Zusätzlich sei es nötig, bereits emittiertes CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Dafür gibt es technische Möglichkeiten, aber auch das Aufforsten und richtige Management von Wäldern sei wichtig.

In Österreich habe man damit lange Erfahrung. „Unser kleines Land ist der drittgrößte Exporteur von Weich-Schnittholz auf der Welt, dies funktioniert nur mit einem sehr gutem Wald-Management“, meinte Kraxner. Kurz nach dem Mittelalter habe man hierzulande gemerkt, dass die Wälder in einem katastrophalen Zustand waren, weil Solewerke sowie Verhüttung und Metallbearbeitung Unmengen an Holz brauchten. Ein Habsburger Herrscher gab schließlich ein Dekret aus, dass für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt werden muss. „Wir haben also zunächst viel falsch gemacht, aber viel gelernt und ein gutes, sehr nachhaltiges System aufgestellt“, erklärte der Forscher.

14.000 Erdwissenschaftler in Wien

Aber auch die nordischen Wälder seien für die heimische Wirtschaft wichtig: Die österreichische Papierindustrie beziehe nämlich einen Großteil ihrer Rohstoffe aus der borealen Gegend. Um den Interaktionen zwischen borealen und Bergwäldern weiter auf den Grund zu gehen, organisiert Kraxner am IIASA in Laxenburg Ende des Sommers (17. - 20. September) eine Expertenkonferenz zum Thema „Cool Forests“ (kühle Wälder).

Die „Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU)“ findet vom 8. bis 13. April im Austria Center in Wien statt. Laut Veranstalter referieren und diskutieren hier rund 14.000 Erdwissenschaftler aus aller Welt neue Forschungsergebnisse etwa zu den Themen Klima, Atmosphäre, Erdbeben, Meeresforschung, Vulkanismus und anderen Naturgefahren.

science.ORF.at/APA

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