„Entspricht nicht wissenschaftlichen Standards“

Namhafte Zeithistoriker und –historikerinnen kritisieren die angekündigte FPÖ-Historikerkommission. In einer offenen Resolution fordern sie nun mehr Transparenz, die Einhaltung wissenschaftlicher Standards und Zugang zu den FPÖ-Archiven.

Vergangene Woche stand die Universität Wien im Zeichen der Zeitgeschichte. „Geschichte wird gemacht“ war das Motto des Zeitgeschichtetages 2018, das ist ein im Abstand von zwei Jahren stattfindender, mehrtägiger Branchentreff. Ein unmittelbares Ergebnis des Treffens ist eine Resolution bzw. Petition, verfasst von renommierten Zeithistorikerinnen und Zeithistorikern.

Deren Thema ist die FPÖ-Historikerkommission, die in Folge des Skandals um ein antisemitisches und holocaustverherrlichendes Liederbuch der FPÖ-nahen Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ins Leben gerufen worden ist. Das war Anfang Februar.

Was bisher über diese Kommission öffentlich bekannt ist, führt deren Kritiker zu folgendem Befund: „Die Vorgangsweise der FPÖ entspricht aus mehreren Gründen nicht den gängigen wissenschaftlichen Standards“, so der Wortlaut der eineinhalbseitigen Resolution.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 10.4., 7:00 Uhr.

Erstunterzeichner sind unter anderem Oliver Rathkolb, Vorstand des Zeitgeschichteinstituts der Universität Wien, Marcus Gräser, Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Linz, Albert Lichtblau, Fachbereichsleiter Geschichte an der Universität Salzburg, Dirk Rupnow, bis zum Vormonat Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und nunmehr deren Dekan, sowie Dieter Pohl, Zeitgeschichtechef an der Universität Klagenfurt.

„Unprofessionell“, „Verdient diesen Namen nicht“

„Wenn wir diese Kommission mit anderen professionellen Historikerkommissionen vergleichen, fehlt ein klarer Arbeitsauftrag, es gibt überhaupt keine Informationen über Mitglieder, das ist also von vorne bis hinten eine sehr unprofessionelle Vorgangsweise“, so Oliver Rathkolb. Fraglich sei außerdem, wie es um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung innerhalb der Kommission, deren Zusammensetzung nicht bekannt ist, bestellt sein wird.

Schließlich stünde ihr eine so genannte Koordinierungsgruppe vor. Und darin fänden sich keine Historiker, sondern FPÖ-Funktionäre, viele davon Burschenschafter. Marcus Gräser, Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Linz sagt dazu: „Einstweilen ist nur eine parteiinterne Arbeitsgruppe eingesetzt worden, und der Rest ist für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar. Solange das der Fall ist, sollte eigentlich nicht von einer Historikerkommission gesprochen werden.“

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die eigentlichen Auslöser der Debatte, die Burschenschaften. Denn laut FPÖ-Plänen werden Burschen- bzw. Mädelschaften nicht Forschungsgegenstand der Kommission sein. „Wenn die FPÖ wirklich ehrlich Rechenschaft ablegen will, muss sie genau da ansetzen und sich anschauen, was in ihrem Umfeld, aber auch in der Partei selbst, noch an solchem Gedankengut vorhanden ist“, fordert Gräser.

Derzeit kein Zugang zu FPÖ-Archiven

Dirk Rupnow, Dekan und Zeitgeschichteprofessor an der Universität Innsbruck, bringt einen weiteren Punkt ins Spiel: „Wir brauchen keine aufgewärmte Organisationsgeschichte der FPÖ, sondern eine Öffnung und Offenlegung der Quellen, die für Forscherinnen und Forscher bisher nicht zugänglich sind.“

Das veranschaulicht etwa das aktuelle Forschungsunterfangen von Margit Reiter vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien. In ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt forscht sie zur Wiedereingliederung von Nationalsozialisten in die österreichische Nachkriegsgesellschaft, unter anderem zum ersten Parteiobmann der FPÖ, Anton Reinthaller. Dieser war NS-Multifunktionär, überzeugter Nazi mit klar antisemitischem Weltbild und nach Kriegsende als Schwerstbelasteter inhaftiert. Im Zuge ihrer Forschungsarbeiten zu Reinthaller wurde Margit Reiter der Zugang zu den Archiven der FPÖ und des VdU, der Verband der Unabhängigen ist die Vorgängerpartei der Freiheitlichen, verwehrt.

Hauptforderung: Transparenz

Eine „schonungslose Auseinandersetzung mit den Fehlern der eigenen Vergangenheit“ hat jedenfalls FPÖ-Chef Strache angekündigt und der Kommission einen engen Zeitrahmen gesetzt: Bis Herbst soll ein erster Bericht vorliegen, bis Jahresende ein Endbericht. „Das ist ein für mich nicht nachvollziehbares Zeitkorsett. Ich kann nur sagen: Speed kills“, sagt dazu Oliver Rathkolb, der selbst Mitglied von Historikerkommissionen gewesen ist.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Resolution fordern, dass die Geschichte der FPÖ und ihrer parteinahen Studentenverbindungen untersucht wird – mit Fokus auf personelle und ideologische Kontinuitäten vom Nationalsozialismus in die Zweite Republik.

Ausgewiesene und unabhängige österreichische Expertinnen und Experten sollten öffentlich nominiert und die von ihnen verwendeten Quellen offengelegt werden, um deren Arbeiten wissenschaftlich überprüfen zu können. Ein weiteres Anliegen ist die unmittelbare Open Access-Veröffentlichung der Zwischenberichte und des Schlussberichts.

Kommissionsleiter will Kritik nicht kommentieren

Wilhelm Brauneder, Rechtshistoriker, ehemaliger dritter Nationalratspräsident der FPÖ und Leiter der FPÖ-Kommission, will die Kritik nicht kommentieren, weil er „nicht über ungelegte Eier sprechen“ will. Nur so viel: Wenn einmal die Ergebnisse vorliegen, dann werde man auch die Autoren des Berichts zur FPÖ-Vergangenheit nennen.

Unklar ist daher auch, welchen Zeitraum die FPÖ-Kommission erforschen will, denn die braunen Flecken innerhalb der Partei sind nicht allein Geschichte, sondern auch Gegenwart. So listet das Mauthausen-Komitee Österreich zwischen 2013 und 2017 rund 60 antisemitische und rechtsextreme Vorfälle auf, die auf das Konto der FPÖ gehen. Und auf der so genannten Einzelfallliste der Tageszeitung „Der Standard“ finden sich ein weiteres Dutzend von Vorfällen aus dem Jahr 2018 – darunter auch die beiden antisemitischen und holocaustverherrlichenden Liederbücher von Burschenschaften, deren Mitglieder zugleich FPÖ-Funktionäre waren bzw. sind.

Nachtrag: Am Dienstagvormittag meldete sich in der Debatte FPÖ-Klubobmann und Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Libertas, Walter Rosenkranz, mit einer Aussendung zu Wort. Darin heißt es, es werde keine Einflussnahmen der FPÖ auf die Kommission geben.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: