Was wir aus 1918 lernen können

Demokratie geht nicht ohne Konflikte: Das war bei Gründung der Ersten Republik vor 100 Jahren so, und daraus könne man heute noch lernen, meinen Experten anlässlich der „Aktionstage politischer Bildung“, die am Montag an Österreichs Schulen beginnen.

1918 wurde die Erste Republik ausgerufen und damit auch das erste demokratische System in Österreich geschaffen, das 15 Jahre lang bestehen blieb. „1918 wurde die Grundlage für die Gesellschaft gelegt, in der wir heute leben. Mit all den Problemen, die damit verbunden sind“, sagt Thomas Hellmuth Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Wien.

Aktionstage politische Bildung

2018 finden die Aktionstage bereits zum 16. Mal statt: vom 23. April bis 9. Mai.

Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit 1918 auch immer eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Bei der historisch-politischen Bildung geht es generell um etwas sehr Praktisches, sagt Hellmuth: „Es geht um die Anwendung von historischem Wissen für die Gegenwart und darum mündig zu werden, also mit dem, was ich weiß, aktiv umgehen zu können.“

Demokratie bedeutet Konflikt

Schülerinnen und Schüler sollen im Fach „Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung“ in der Oberstufe lernen, das aktuelle politische Geschehen einzuordnen und sich aktiv daran zu beteiligen. An Berufsschulen gibt es keinen Geschichteunterricht, dafür das Fach „Politische Bildung". Im Vordergrund steht laut Lehrplan unter anderem die Identifikation mit der Demokratie, und dabei kommt man nicht darum herum, sich auch mit der Entstehung der Demokratie und der Ausrufung der Ersten Republik auseinanderzusetzen.

„1918 liefert ein gutes Beispiel für Schülerinnen und Schüler um zu verstehen, wie zentral Konflikte für die Demokratie sind“, meint Stefan Schmid-Heher, Berufsschullehrer und Mitarbeiter am Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien: „Demokratie ist nicht einfach vom Kaiserhaus oder von den Mächtigen in der Gesellschaft eingeführt worden, das war ein politischer Kampf.“ Auf solche Prozesse hinzuweisen, sei notwendig, um zu vermitteln, dass Konflikte grundlegend für die Demokratie und das Politische sind.

Menschenmenge vor dem Parlament am 12. November 1918

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Menschenmenge vor dem Parlament am 12. November 1918

Zustimmung sinkt

Doch die Demokratie befindet sich aktuell in der Defensive. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes SORA aus dem Jahr 2017 hat die Zustimmung zur Demokratie in der Gesellschaft in den letzten zehn Jahren abgenommen.

Eine ähnliche Beobachtung hat auch Schmid-Heher letztes Jahr gemacht. Er hat autoritäre und antidemokratische Haltungen unter Lehrlingen untersucht. Nur zwei Drittel von ihnen halten die Demokratie für die beste Regierungsform, außerdem befürwortet die Mehrheit eine starke Persönlichkeit, die entscheiden kann, ohne auf das Parlament oder Wahlen Rücksicht nehmen zu müssen. „Konflikte, die demokratisch ausgetragen werden, werden oft negativ gesehen. Die Demokratie erscheint vielen als schwach“, erklärt Schmid-Heher.

„Was hat das mit mir zu tun?“

Einen Grund für die mangelnde Zustimmung zur Demokratie sieht der Pädagoge darin, dass viele Jugendliche demokratische Institutionen nicht mit ihrer Lebensrealität in Bezug setzen können: „Viele Lehrlinge haben das Gefühl: ‚Leute wie ich können politische Entscheidungen ohnehin nicht beeinflussen.‘ Das ist ein massives Problem für die Demokratie“, sagt der Berufsschullehrer.

Der Unterricht muss eine Antwort auf die Frage der Jugendlichen, was die Demokratie mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat, liefern können. Für den Geschichtsdidaktiker Thomas Hellmuth bietet es sich hier an, die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts 1918 zu thematisieren: „Es geht darum, ganz grundlegend zu vermitteln, was es heißt, wenn die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wählen dürfen und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, die vorher nicht da waren.“

Menschenmenge vor dem Parlament am 12. November 1918

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Das Parlament am 12. November 1918

Thematisieren, wer wählen darf

Ausgehend davon könne man auch darüber diskutieren, ob es noch zeitgemäß ist, dass nur jene wählen dürfen, die die österreichische Staatsbürgerschaft haben, obwohl andere auch seit Jahren hier leben und ihren Lebensmittelpunkt hier haben. Das ist ein zentrales Thema für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die hierzulande ohne österreichische Staatsbürgerschaft geboren wurden.

Auch die Einführung des Frauenwahlrechts ist ein relevantes Thema für die historisch-politische Bildung, sagt Schmid-Heher: „Man muss dann auch in die Gegenwart schauen: Wie schaut es aus mit der Partizipation von Frauen in der Gesellschaft? Keine politisch ernstzunehmenden Kräfte stellen heute das Frauenwahlrecht in Frage. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel über Maßnahmen der Frauenförderung wie Quoten diskutieren, dann wird es kontroversieller.“

Verbindungen zur Gegenwart herzustellen, sei wichtig, damit Jugendliche „etwas mit der Geschichte anfangen können“, sagt Schmid-Heher. Und nur so könne der Unterricht auch Orientierung für das eigene Leben liefern.

Katharina Gruber, Ö1-Wissenschaft

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