Radiopropaganda im Jahr 1938

Als die Nationalsozialisten 1938 in Österreich die Macht übernommen haben, war das noch junge Medium Radio wichtig, um ihre Propaganda zu verbreiten. Vor zwei Jahren entdeckte Tondokumente sind nun erstmals auf einer CD zu hören.

In den ersten Wochen mussten die Nazis mittels Propaganda sicherstellen, dass die Euphorie, die der „Anschluss“ in breiten Teilen der Bevölkerung auslöste, nicht nachließ. Da hatte das Radio Vorteile gegenüber Printmedien, sagt der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell: „Ein wichtiges Element der Propaganda nach dem Anschluss war, das Gefühl zu vermitteln, dass ein Volk, das zusammengehöre, zusammengefunden habe. Im Radio kann ich das gut durch die Stimmlage, die Freude, den jovialen Ton zwischen Deutschen und Österreichern vermitteln.“

Nachträgliche „Anschluss“-Propaganda

In den ersten Wochen der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich diente die Propaganda der Vorbereitung auf die Volksabstimmung am 10. April 1938, die den „Anschluss“ im Nachhinein legitimieren sollte – nicht nur im Rundfunk, sondern auch auf Plakaten und in Zeitungen.

Originalaufnahmen auf Ö1-CD

Für den Ö1-Schwerpunkt zum „Anschluss“ 1938 wurden unter anderem die 2016 wiedergefundenen Archivaufnahmen verwendet. Eine Edition-Ö1-Doppel-CD mit ausgewählten Beiträgen des Schwerpunktes ist seit 4. Mai im Ö1-Shop erhältlich.

Über die tagesaktuelle Radioberichterstattung in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ wusste man bisher wenig, sagt Hausjell. Das ändert sich durch wiedergefundenes Radioarchivmaterial. Denn das Audioarchiv der österreichischen Radio Verkehrs AG (RAVAG), die 1924 gegründet und 1939 aufgelöst wurde, galt lange Zeit als verschollen. Die Nazis hatten das Material nach Berlin gebracht, zu DDR-Zeiten landete es schließlich im Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam-Babelsberg. Dort entdeckte es Michael Liensberger, Historiker und Mitarbeiter des ORF-Archivs, 2016.

Die Originalaufnahmen aus dem Frühjahr 1938 geben unter anderem Aufschluss über die begleitende Propaganda zu Hitlers öffentlichen Auftritten, wie eine Liveübertragung vom 3. April 1938 aus einer stillgelegten Fabrikhalle in Graz zeigt:

Ein zentrales Propagandathema vor der Volksabstimmung war das Versprechen der Nazis, die Arbeitslosigkeit zu beenden und wirtschaftlichen Aufschwung zu bringen:

Für das Radio war die Liveübertragung von Hitlers Reden zentral. In der Weitzer Waggonfabrik in Graz sprach Hitler über den „Anschluss“:

Auch nach der Volksabstimmung galt es, die öffentlichen Auftritte und auch die Auslandsreisen des Führers zu begleiten. Das geht aus Presseanweisungen für alle Medien im Deutschen Reich hervor.

Ablenkung während des Kriegs

Begleitet war die Propaganda von einem ständigen Antisemitismus, der im Novemberpogrom 1938 seinen ersten Höhepunkt erreichte. Auch hier kam dem Radio eine besondere Rolle zu, sowohl in der Liveberichterstattung als auch mit direkten Anweisungen an die Bevölkerung. Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell: „Als während des Pogroms zu viel teures Schaufensterglas eingeschlagen wurde, forderte man die Bevölkerung auf, das zu unterlassen. Für solche Meldungen wären die Zeitungen zu langsam gewesen.“´

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 4.5., 13:55 Uhr.

Später, als die erhofften Erfolge während des Zweiten Weltkrieges ausblieben, habe das Radio eine stark ablenkende Funktion bekommen, sagt Hausjell: „Man setzte dann einfach auf mehr Unterhaltung im Rundfunk.“ Das weiß man durch Radioaufnahmen aus dem so genannten Altreich. Eine systematische Analyse des wiederentdeckten österreichischen Audioarchivs, das Aufnahmen aus den Jahren 1924 bis 1945 enthält, steht noch aus.

Katharina Gruber, Ö1-Wissenschaft

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