In Österreich umstritten, im Norden Alltag

Gesundheitsdaten für die Forschung - dieses Thema hat zuletzt für Aufregung gesorgt. In Österreich weist man eilig darauf hin, dass die elektronische Gesundheitsakte Elga für die Forschung gar nicht brauchbar ist. Im Norden Europas ist die Registerforschung hingegen Alltag.

Sie ist das größte und wohl auch umstrittenste Projekt der aktuellen Mitte-Rechts-Regierung in Finnland: die Verwaltungsreform, mit der auch Gesundheits- und Pflegewesen umgekrempelt werden. Eine Grundlage für diese Reform bilden die Studien des Mediziners Ilmo Keskimäki vom Institut für Gesundheit und Wohlfahrt in Helsinki.

Analyse von Angebot und Wirkung

Anhand von Gesundheitsdaten kann Keskimäki analysieren, wo in Finnland Menschen mit welchen Anliegen zum Arzt oder in ein Krankenhaus gehen: „Wir untersuchen mit der Hilfe aktueller Registerdaten, welche Angebote stark und welche nur wenig nachgefragt werden. Welche speziellen Bedürfnisse gibt es? In Verbindung mit Daten zu Migration, Alterung und anderen Veränderungen der Gesellschaft können wir Modelle und Prognosen erstellen.“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch das Mittagsjournal und Matrix am 18.5.2018, 19.05 Uhr.

Und nicht nur das: Ilmo Keskimäki kann auch nachverfolgen, ob eine spezielle Behandlung etwa eines Diabetes-Patienten dazu geführt hat, dass er danach weniger oft zum Arzt gehen musste - oder im Gegenteil, ob die Krankheit schlimmer wurde. Möglich ist das, indem Keskimäki nicht den Namen des Patienten bekommt, sondern einen Code, mit dem er die Geschichte eines Patienten über viele Jahre nachverfolgen kann - Pseudonymisierung nennt sich das im Fachjargon. Die Analysen von Ilmo Keskimäki haben gezeigt: Nicht überall in Finnland klappt es mit der Versorgung gleich gut. Die Politik war mit seinen Ergebnissen zwar nicht zufrieden, hat aber dennoch reagiert und eine Reform gestartet.

Kabelstränge an einem Server im Rechenzentrum.

APA/Hans Klaus Techt

Mehrere Sicherungen

Ebenso wie in Finnland wird auch in Schweden seit Jahrzehnten mit Registerdaten geforscht. Einer der Experten ist Kirk Scott, Professor für Demografie an der Lund Universität und Aufsichtsratsmitglied von Statistik Schweden. Er beschäftigt sich vor allem mit Integrationsfragen.

Wie in Finnland bekommen die Forscher auch in Schweden nur jene Daten, die für ihre Studien benötigt werden. Die Anträge werden zuerst von den Ethikorganen, dann von der Rechtsabteilung der zuständigen Behörden geprüft. Geben beide ihr OK, werden die Daten nicht überspielt, sondern die Forscher bekommen einen Zugang auf den Servern der nationalen Statistikbehörden - inklusive einem System, bei dem über einen elektronischen Fingerabdruck zu jedem Zeitpunkt festgestellt werden kann, wer mit den Daten arbeitet, so Kirk Scott.

Überzogene Datenschutzbedenken?

In Skandinavien ist die Forschung von den Vorteilen der Registerforschung überzeugt: Veränderungen über viele Generationen hinweg können so relativ einfach und kostengünstig erfasst werden, egal, ob es um Arbeitsmarkt, Mobilität oder Bildung geht. Die Alternative wären prospektive, also vorausblickende Studien mit einer großen Anzahl von Testpersonen über viele Jahre, was sie teuer und aufwändig macht. Registerforschung kann der Politik Evidenz, wissenschaftlich gesichertes Wissen liefern, so der Tenor.

Registerforschung sei nicht nur akzeptiert, sie werde auch stark gefördert, fasst Ilmo Keskimäki aus Helsinki zusammen. Und sein schwedischer Kollege Kirk Scott sagt: „Datenschutzbedenken gegenüber der Registerforschung sind meiner Meinung nach überzogen, denn es gibt kein Interesse der Wissenschaft am Individuum.“

K-Anonymität statt Pseudonymisierung

Aber was passiert, wenn wirklich Daten beabsichtigt oder aus Versehen in die falschen Hände gelangen? Dann wären sie höchstwahrscheinlich nicht ausreichend anonymisiert, wie Datenschützer kritisieren. Denn der Code, der bei der Pseudonymisierung erstellt wird, wäre durch Kombination mit anderen Informationen entschlüsselbar: Es gibt keine zweite Person, die die gleichen digitalen Spuren hinterlässt. „Dadurch ist eine Re-Identifikation relativ schnell möglich, und diese Gefahr wird meist unterschätzt“, sagt Michael Platzer, Datenwissenschaftler sowie Gründer und Geschäftsführer von Mostly AI.

Heute gebe es genügend andere Verfahren, mit denen man verhindert, dass eine Person in einem Datensatz identifiziert wird, so Platzer. Zum Beispiel indem man einige Merkmale so vergröbert, dass eine Person digital nicht mehr von einer Gruppe anderer Menschen unterscheidbar ist. Anstatt dem genauen Geburtstag wird nur mehr das Jahr, das Alter oder ein Zeitraum angegeben - etwa: „Alter zwischen 30 und 40“. Statistiker nennen das „k-Anonymität“, wobei das „k“ für die Gruppengröße steht. „k 10“ bedeuet also, dass eine Person von 9 anderen nicht zu unterscheiden ist.

Eine E-Card, im Hintergrund das "elga"-Logo

APA/Helmut Fohringer

Alternative: Synthetische Daten

Wie man persönliche Daten schützt und sie gleichzeitig für die Forschung nutzbar macht, beschäftigt auch Niki Popper, der das Forschungsprojekt Dexhelpp betreut. Sein Ziel: das Gesundheitssystem besser verstehen und planen. An Bord sind etwa der Hauptverband der Sozialversicherungen, die TU und die Medizin-Uni. Besonders die Sozialversicherungen sitzen auf einem Datenschatz. So konnte über Dexhelpp die Maserndurchimpfungsrate ermittelt werden, genauso wie die Nutzung von MRT Geräten oder der Zusammenhang von Medikamenten und Folgeerkrankungen.

Datensicherheit stehe an oberster Stelle - auch beim Thema Anonymisierung. So arbeitet Dexhelpp teilweise mit sogenannten synthetischen Daten. Mithilfe von neuronalen Netzwerken lassen sich aus einem Datensatz synthetische, also künstliche Daten erstellen, die keine Rückschlüsse mehr auf eine Person erlauben. Algorithmen bauen dafür ein Modell, das die Verteilung und Beziehung zwischen den Daten abbildet.

Elga „eignet sich nicht für Forschung“

Die öffentliche Debatte in Österreich kreist indessen derzeit vor allem um das Stichwort Elga. 273.000 Personen haben sich bisher von der elektronischen Gesundheitsakte abgemeldet, 5.000 allein seit Beginn der Debatte, ob Elga-Daten zukünftig auch für die Forschung genutzt werden. Die Grundlage dafür hat die Regierung Ende April mit dem Datenschutzanpassungsgesetz für Wissenschaft und Forschung geschaffen.

Dabei eignet sich Elga gar nicht für die Forschung, wie Geschäftsführer Franz Leisch sagt: „Elga ist nicht, so wie es viele Register sind, eine Übersicht über den Patienten, was er alles spezifisch hat, sondern wir ersetzen nur bereits bestehende Dokumente in digitaler Form und geben dem Patienten eine virtuelle Mappe von seinen Befunden und Dokumenten mit. Eine Abfrage zu anderen Zwecken ist derzeit technisch nicht vorgesehen.“

Ob sie möglich und sinnvoll wäre, müsste man prüfen, so der Elga-Manager. Statistik Austria, eine weitere mögliche Datenquelle für Registerforschung, hält auf Anfrage fest, dass man grundsätzlich sehr daran interessiert sei, der wissenschaftlichen Forschung den Zugang zu Mikrodaten zu erleichtern. Um offene datenschutzrechtliche Fragen zu klären, werde derzeit eine Novelle des Bundesstatistikgesetzes diskutiert.

Anna Masoner, Elke Ziegler, Ö1 Wissenschaft

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