„Schreiben gegen das Vergessen“

66.000 österreichische Jüdinnen und Juden wurden während des Holocaust ermordet. Eine Kunstaktion soll das Ausmaß der Vernichtung nun deutlich machen: Mit Kreide schreiben die Teilnehmer im Juni die 66.000 Namen auf die Hauptallee im Wiener Prater.

Eigentlich hätte die Künstlerin Margarete Rabow , die die Aktion gemeinsam mit dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien ins Leben gerufen hat, gerne die Wiener Ringstraße beschrieben. Sie ist eine Straße, die nur dank zahlreicher jüdischer Investoren entstehen konnte. Aus verkehrstechnischen Gründen war das nicht möglich.

Aber auch der Wiener Prater ist nicht zufällig gewählt und eng mit jüdischem Leben in Wien verknüpft. So lange sie durften, verbrachten viele jüdische Familien vor 1938 hier ihr Freizeit. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland wurden viele von ihnen gezwungen, pro-österreichische Slogans von den Straßen zu waschen. Umherstehende Schaulustige verspotteten und beschimpften sie dabei. Dieses Bild greift Margarete Rabow auf. Von 21. bis 28. Juni soll allerdings „Österreich“ nicht weggewaschen, sondern etwas hinzugefügt werden: die Namen der toten Jüdinnen und Juden.

Kunst-Aktionen von Rabow am Carachoweg in der Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 2013

Peter Loewy.

Kunstaktionen von Rabow in der Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 2013

Menschen neu berühren

„Namen sind etwas ganz Persönliches, jeder hat ja eine Beziehung zu seinem eigenen Namen. Wenn zwei Kilometer beschrieben sind, dicht an dicht mit Namen, dann berührt es einfach sehr“, so die Fotografin und Filmemacherin. „Sich zu erinnern ist ein wichtiger Teil des Trauerprozesses. Aber es löst nicht nur bei den Schreibenden etwas aus, sondern auch bei denen, die vorbeigehen und das sehen.“ Sorge, dass nicht genügend Menschen teilnehmen, hat die Künstlerin nicht. „Meiner Erfahrung nach engagieren sich Menschen gerne. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt Stellung zu beziehen, dann tun sie das.“

Menschen neu zu berühren ist auch das Ziel von Béla Rásky , der das Wiener Wiesenthal Institut leitet. „Die Gedenkpolitik läuft Gefahr zu einem Ritual zu werden. Jeder kommt und nickt und sagt ‚Ja, wir erinnern uns‘, aber es löst nichts mehr aus. Margaretes Projekt ist sowas, wo ich auf einmal erstaunt bin, betroffen bin, provoziert bin bis zu einem gewissen Grad und das löst, glaub ich, etwas ganz Neues aus“, so der Historiker.

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal, 24.5., 12:00 Uhr.

Statt großer Denkmäler wünscht er sich viele kleine Aktionen, die an den Holocaust erinnern. Dabei soll nicht nur der Opfer gedacht werden. Auch die Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern gehört für Margarete Rabow zur Erinnerungskultur. „Mich interessiert, wie sich Menschen verhalten und anpassen. Ich finde es verblüffend zu sehen, wie Verdrängung funktioniert“, so die Künstlerin. „Es kann nicht sein, dass die Menschen nichts gewusst haben, es kann einfach nicht sein - das finde ich, ist es wert erforscht zu werden.“

Béla Rásky interessieren besonders diejenigen, die sich nicht angepasst haben. „Wir denken immer in den Kategorien: Opfer, Täter und Bystander, also die, die nichts gemacht haben. Was immer mehr vergessen wird, ist, dass es Menschen gegeben hat, die Widerstand geleistet haben. Dieser Menschen, die aufgestanden sind und etwas gemacht haben, sollten wir auf eine neue Art gedenken.“

Erinnern für die Zukunft

Das Bewusstsein einer Gesellschaft, was Recht oder Unrecht ist, ist erlernt. „Wenn man sieht, wie junge Soldaten, die in Polen einmarschiert sind, anfangen, Juden am Bart zu ziehen, stellt sich doch die Frage, warum es niemanden in der Gruppe gegeben hat, der gesagt hat: ‚Hör auf, du kannst doch einem alten Mann nicht im Gesicht herumfahren!‘“, so Rásky. Eine wichtige Aufgabe der Erinnerungskultur sei es daher, Menschen zur Zivilcourage zu erziehen.

„Wenn ich heute in der Straßenbahn sehe, dass jemand belästigt wird, ist das eine Schulung, glaub ich, wie ich mich verhalte. Schaue ich weg oder ganz im Gegenteil, lerne ich zu sagen: Du musst intervenieren und wenn du einmal intervenierst, dann intervenieren die anderen auch und es passiert weniger.“

Kunst-Aktionen von Rabow am Carachoweg in der Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 2013

Peter Loewy.

Die Künstlerin bei der Arbeit

Aufarbeitung in Österreich nur oberflächlich

In der Erinnerungskultur sehen der Historiker Rásky und die deutsche Künstlerin Rabow große Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. „Ich glaube in Deutschland ist man mutiger neue Wege zu gehen“, so Rabow. Während ihre Kunstaktionen in Deutschland auf viel Interesse und Begeisterung von Förderern stießen, sei man in Österreich zurückhaltender gewesen. „In Deutschland ist die Aufarbeitung des Nationalsozialismus sehr, sehr tief. In Österreich ist es noch ein dünner Lack. Man hat Angst vor Experimenten, weil man Angst hat, irgendetwas auszulösen und dann nicht mehr in den gewohnten Bahnen bleiben kann“, ist Rásky überzeugt.

Die Sonne wird die mit Kreide geschriebenen Namen ausbleichen, der Regen wird sie wegspülen. Was von der Aktion „Schreiben gegen das Vergessen“ bleibt, ist ein Film, aufgenommen mit einer analogen 16mm Filmkamera, der Jahrhunderte überdauern kann. Wer mitschreiben möchte, kann sich auf der Projektwebsite www.schreiben-gegen-das-vergessen.at anmelden.

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

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