Bildung macht kurzsichtig

Werden Menschen, die bei schlechtem Licht viel lesen, eher kurzsichtig? Eine neue Studie scheint dem zuzustimmen. Mehr Jahre in Schule und Ausbildung bedeuten statistisch auch: mehr Dioptrien.

Dass stundenlanges Lesen von Büchern zu dicken Augengläsern führt, ist ein bekanntes Stereotyp – auch wenn es sich im Zeitalter des Internets zunehmend um Webseiten handelt. Der Zusammenhang wurde auch wissenschaftlich durch Beobachtungsstudien wiederholt bestätigt.

Unklar war aber, in welche Richtung die Kausalität verläuft: Sind kurzsichtige Kinder etwa strebsamer und verstärken somit ihre Anlagen oder erzeugen die Jahre von Bildung und Studium erst die Kurzsichtigkeit? Um diese Frage zu klären, hat ein Team um Denize Atan von der britischen University of Bristol eine Methode der Biostatistik auf Gendaten von knapp 68.000 Männern und Frauen angewendet (Mendelsche Randomisierung) und mit Ergebnissen von Fragebögen und Augenuntersuchungen kombiniert. Mit der Methode lässt sich die Frage nach Ursache und Wirkung besser beantworten.

Fünf Studienjahre, eine Dioptrie

Untersucht wurden über 100 Genvarianten, die entweder mit Kurzsichtigkeit oder mit Ausbildungsdauer zu tun haben. Die „Kurzsichtigkeitsgene“ stellten sich als größter Risikofaktor heraus, aber auch die Schul- und Ausbildungsjahre hingen direkt und kausal mit der Fehlsichtigkeit zusammen, wie die Forscher berichten.

Ein Beispiel: Ein britischer Universitätsabsolvent ist nach 17 Bildungsjahren um eine Dioptrie kurzsichtiger als jemand, der die Schule 16-jährig nach zwölf Bildungsjahren verlassen hat. Umgekehrt fanden die Forscher kaum Hinweise, dass eine bestehende Kurzsichtigkeit zu mehr Jahren in der Ausbildung führt.

Handbemalte Brillengestelle

APA/dpa/Sven Hoppe

Die Daten für ihre Studie stammen von Personen, die im Schnitt gesünder waren als die Gesamtbevölkerung, schränken sie die Aussagekraft ihrer Ergebnisse ein. Atan und ihr Team glauben dennoch, die Wirkungskette eindeutig geklärt zu haben. Auch wenn sie den körperlichen Mechanismus, der dazu führt, nicht untersucht haben, halten sie die alte Erklärung für plausibel: Menschen, die viel lernen und studieren, sind seltener natürlichem Tageslicht ausgesetzt – und das könnte zu mehr Kurzsichtigkeit führen.

Zurzeit sind 30 bis 50 Prozent aller Europäer kurzsichtig, bis Mitte des Jahrhunderts könnte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung davon betroffen sein.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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