Die erste Frau an der Akademie

Sie war eine der ersten Frauen, die in Österreich Physik studierten. Später wurde sie zur Mitentdeckerin der Kernspaltung. Vor genau 70 Jahren wurde Lise Meitner als erste Frau in die Österreichische Akademie der Wissenschaften aufgenommen - mit geringer Folgewirkung.

Aktuell studieren rund 1.100 Frauen Physik an österreichischen Universitäten. Das entspricht einem Frauenanteil von 26 Prozent in diesem Fach. 1901 inskribierten nur zwei Frauen Physik an der Universität Wien - Lise Meitner, die später große Bekanntheit erlangen sollte, war eine davon. Sie gilt bis heute als Vorbild für viele Physikerinnen, ihre Karriere steht aber auch beispielhaft für die Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 8. Juni um 13:55.

Erster weiblicher Universitätsassistent

Sich in der Männerdomäne „Physik“ durchzusetzen, bestimmte die gesamte Karriere Meitners. In Wien wurde Ludwig Boltzmann zu ihrem wichtigsten Lehrer. Als sich dieser 1906 das Leben nahm, wollte sie nicht länger in Österreich bleiben. Nach ihrer Promotion ging sie nach Berlin, um die Vorlesungen eines anderen bekannten Physikers zu hören: Max Planck. „Er war es auch, der sie als ‚ersten weiblichen Universitätsassistenten‘ anstellte“, sagt die Wissenschaftshistorikerin Katja Geiger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Doch dazu kam es erst im Jahr 1912. Davor musste sie als „unbezahlter Gast“ am Chemischen Institut forschen. Hier lernte sie den Chemiker Otto Hahn kennen, mit dem sie 30 Jahre lang forschen sollte. Das Forscherteam Hahn/Meitner war jedenfalls – trotz des markanten Größenunterschieds der beiden - eine Allianz auf Augenhöhe. Was physikalische Fragen betrifft, war sie es, der die geistige Führerschaft zukam. „Hähnchen, lass mich das machen, von Physik verstehst du nichts“, soll sie mitunter gesagt haben.

Händeschütteln: Otto Hahn und Lise Meitner im Jahr 1953

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Otto Hahn und Lise Meitner im Jahr 1953

Doch anders als er, musste sie das Institut zunächst über den Hintereingang betreten und durfte die Räumlichkeiten der Studenten nicht nützen. Ihr Arbeitsraum befand sich im Keller. Dieses Verbot fiel erst 1909, als Frauen in Preußen zum Studium zugelassen wurden.

Flucht vor den Nationalsozialisten

Meitner setzte ihre Karriere in Berlin fort. 1918 übernahm sie die Leitung der radiophysikalischen Abteilung am Kaiser Wilhelm Institut für Chemie, acht Jahre später wurde sie als erste Frau an der Universität Berlin zum „Professor“ für experimentelle Kernphysik ernannt. Da Meitner aus einer jüdischen Familie stammte, verlor sie 1933 mit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Lehrbefugnis.

„Sie blieb aber noch in Berlin“, sagt die Wissenschaftshistorikerin Doris Corradini von der ÖAW. Denn sie konnte wegen ihrer österreichischen Staatsangehörigkeit noch weiter arbeiten. Als 1938 der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland erfolgte, musste sie Deutschland schließlich verlassen. Meitner ging ins Exil nach Schweden, wo sie ihre Forschungen zwar fortsetzen konnte, sich jedoch lange isoliert fühlte.

Kein Nobelpreis für Meitner

Am 19. Dezember 1938, als Meitner bereits in Schweden war, gelang es Hahn und seinen Kollegen in Berlin, die Kerne von Uranatomen zu spalten. Doch der Chemiker konnte die experimentellen Ergebnisse nicht einordnen. Und schrieb an Meitner in Schweden. Erst ihre theoretische Erklärung machte aus dem Experiment die Kernspaltung. Den Nobelpreis für diese Entdeckung erhielt sie jedoch nicht, diese Auszeichnung ging alleine an Otto Hahn.

Ehrung von Wissenschaftlern im Jahr 1963 - u.a. mit Lise Meitner und Otto Hahn

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Bonn, 1961: Ehrungen wurden Meitner im Laufe der Jahre einige zuteil, beim Nobelpreis ging sie aber leer aus

Damit sei sie ein Paradebeispiel für den sogenannten Matilda-Effekt, sagt Geiger, die gemeinsam mit Corradini die Geschichte der ÖAW erforscht. „Der beschreibt eben dieses Phänomen, dass Frauen zwar oft maßgebend an wissenschaftlichen Leistungen beteiligt waren, aber unsichtbar bleiben, während die ganze Anerkennung allein ihren männlichen Kollegen zukommt“, so die Wissenschaftshistorikerin.

Anerkennung der ÖAW

Ihrer herausragenden Leistungen wurden 1948 zumindest von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewürdigt. Meitner wurde am 9. Juni als erste Frau aufgenommen, allerdings nur als korrespondierendes Mitglied im Ausland. Und Einstimmigkeit herrschte unter den Akademiemitglieder auch nicht, sagt Corradini. Stefan Meyer, ein Kollege Meitners, schrieb ihr darüber in einem Brief. „Er berichtet darin, dass es in Wien noch Unentwegte gibt, die Frauen nicht in solcher Körperschaft haben wollen“, so Corradini. Immerhin 13 Mitglieder hatten sich für Meitner entschieden und nur einer hatte sich der Stimme enthalten.

Erst 25 Jahr später wählte die Akademie eine Frau zum vollwertigen Mitglied. Die Physikerin Berta Karlik wird 1973 - ein Jahr vor ihrer Emeritierung - aufgenommen. Der Frauenanteil an der Akademie ist nach wie vor niedrig. Von 789 Mitgliedern sind aktuell 129 Frauen. Damit hat die ÖAW den Frauenanteil in den vergangenen zehn Jahren immerhin verdoppelt.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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