„Für Pessimismus ist es zu spät“

Der Klimawandel ist ein fast unlösbares Problem, sagt der österreichische Klimaökonom Gernot Wagner. Von kühlenden „Impfungen“ der Atmosphäre hält der Harvard-Forscher - noch - nicht viel: Solche Methoden seien extrem wirksam, aber auch extrem gefährlich.

science.ORF.at: Herr Wagner, Sie haben zuletzt in Wien an der Diskussionsveranstaltung „Wie retten wir unser Klima?“ teilgenommen. Der Titel scheint einen gewissen Optimismus zu implizieren: Können wir es noch retten?

Gernot Wagner: Für Pessimismus ist es zu spät. Können wir es so machen, wie sich das Klimaforscher und Ökonomen vorstellen würden? Leider nicht oder nicht mehr, vor allem aus politischer Sicht. Das heißt natürlich nicht, dass wir es nicht versuchen sollten.

Zur Person

Gernot Wagner ist Klimaökonom an der Harvard University und Autor des Buches „Klimaschock“. Am 11. Juni hielt er an der Uni Wien den Vortrag: “Von Klimaschock zu Solar Geoengineering?”

Wenn man die Zusagen der am Pariser Klimavertrag beteiligten Staaten hochrechnet, kommt man auf ein Plus von 3,2 Grad - das ist wohlgemerkt das optimistische Szenario aus heutiger Sicht. Das kann es wohl nicht sein, oder?

Wagner: Das kann und darf es nicht sein. Hier ist das wirkliche Problem: 3,2 Grad klingt ziemlich präzise. Wir wissen nicht, ob es am Ende drei Grad oder vier Grad sein werden - oder vielleicht sogar viel mehr. Selbst wenn die ambitionierten Ziele von Paris umgesetzt werden, gibt es noch immer genügend Unsicherheiten, was die tatsächliche Entwicklung des Klimas anlangt. Dass es schlimmer wird, wissen wir. Wie schlimm - das ist die große Frage.

Gernot Wagner beim Ö1-Interview

ORF/Oppitz

Gernot Wagner beim Ö1-Interview

Einmal ist es der Staatengemeinschaft schon gelungen, ein globales Umweltproblem zu lösen. Nämlich der Schutz der Ozonschicht durch das FCKW-Verbot. Nur gab es damals eine relativ einfache technologische Lösung - die scheint nun nicht in Sicht.

Wagner: Der Vergleich mit dem Ozon und mit dem Montreal-Protokoll ist treffend. Vor allem, weil es beim Klimawandel um einiges komplizierter ist. Ich beschreibe den Klimawandel gerne als das perfekte Problem. Das Klimawandelproblem ist globaler, es ist langfristiger, es ist ungewisser und letztlich irreversibler als alle anderen gesellschaftlichen Probleme, die ich kenne.

„Perfekt“ im Sinne von: an der Schwelle zur Unlösbarkeit?

Wagner: Lassen Sie mich nochmals auf das Montreal-Protokoll zurückkommen. Die erwähnte technologische Lösung für die Zerstörung der Ozonschicht sah den Ersatz der ozonschädigenden Halogenkohlenwasserstoffe durch Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) vor. Leider hat sich herausgestellt, dass die FKW noch tausendfach schlimmer für das Klima sind als CO2. Wir haben ein Problem gelöst und ein anderes, größeres Problem dadurch noch deutlich verschärft.

Das heißt: Auch das Montreal-Protokoll muss erneut diskutiert werden?

Wagner: Ja, wie so viele andere Fragen auch. Das Traurige wie auch Ironische am Klimawandel ist, dass es so viele verschiedene Probleme gibt, die wir lösen müssen. Die gesellschaftspolitischen Lösungsansätze laufen letztlich auf Folgendes hinaus: Wir brauchen einen CO2-Preis. Zum Beispiel eine CO2-Steuer, ein Emissionshandelsgesetz, Subventionen der erneuerbaren Energien und so weiter. Wenn wir unser tägliches Verhalten in die richtige Richtung leiten wollen, dann muss CO2 teurer werden. Das heißt nicht, Flüge zu verbieten. Wenn ich mich in Boston ins Flugzeug setze und nach Wien fliege, gebe ich persönlich - nicht der ganze Flieger, nur ich - eine Tonne CO2 aus. Ich komme gerne nach Österreich, ich besuche gerne meine Eltern. Aber jeder Flug führt zu Unmengen von CO2-Emissionen. Und die Fluggäste bezahlen nicht dafür. Wer bezahlt für die Kosten? Alle sieben Milliarden Weltbürger.

Mit Steuern und Subventionen wird man allerdings in dem Land, in dem Sie forschen, eher keine Mehrheiten gewinnen. In Amerika gilt der freie Handel noch viel stärker als Ideal als in Europa. Ist das durchsetzbar?

Wagner: Natürlich ist es kein freier Handel, wenn Nutzen und alle Vorteile privatisiert und die Kosten sozialisiert sind. Die Politik in Washington geht derzeit in die falsche Richtung, leider. Andererseits gibt es selbst in den USA so manches positives Signal. Ein Austroamerikaner, Arnold Schwarzenegger, hat ein Emissionshandelsgesetz für Kalifornien unterzeichnet, das um einiges besser ist, als das, was wir hier in Europa haben. Und Kalifornien ist, als Bundesstaat genommen, immerhin der achtgrößte Wirtschaftsraum der Welt.

Gernot Wagner beim Ö1-Interview

ORF/Oppitz

Sehen Sie irgendeine Chance, dass uns die Technologie bei der Lösung des Klimawandelproblems helfen wird?

Wagner: Es könnte - mit Betonung auf „könnte“ - tatsächlich so sein. Es gibt zwei Ansätze: erstens Carbo-Geoengineering, also eine Methode, mit der man CO2 aus der Atmosphäre herausholt; und zweitens Solar-Geoengineering, also der Versuch, den Planeten ein bisschen reflektiver zu machen und ihn so abzukühlen. Diese zwei Methoden könnten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten - im Gesamtpaket mit CO2-Reduktionen, Adaptierung und vielen, vielen anderen Dingen, die nötig sind.

Studie

Mögliche gesundheitliche Auswirkungen des Solar-Geoengineerings erhob kürzlich eine Harvard-Studie: “Quantifying the impact of sulfate geoengineering on mortality from air quality and UV-B exposure”, Atmospheric Environment (2018).

Gibt es eine Methode, die bereits messbare Effekte zeigt?

Wagner: Eine Methode wenden wir bereits an: Wir pumpen derzeit so viel SO2 in die niedrigere Atmosphäre, sodass sich die globalen Temperaturen um ca. ein Grad senken. Wir tun das allerdings nicht bewusst, um die Temperaturen zu senken. Wir tun das indirekt - durch Industrie und Verkehr. Und diese „Maßnahme“, also die Luftverschmutzung, tötet pro Jahr drei bis sechs Millionen Menschen. In Europa haben wir glücklicherweise seit den 1970er Jahren die richtigen politischen Impulse gesetzt, um die SO2-Emissionen zu reduzieren. Deswegen lebt der Schwarzwald, deswegen geht es dem Wienerwald besser, deswegen gibt es eine geringere Kindersterblichkeit und weniger Asthmaerkrankungen. Das sind alles gute Schritte. Allerdings: Durch die Reduktion der SO2-Emissionen hat sich die Arktis seit 1980 um ein halbes Grad erwärmt. Das heißt: Wir tun etwas gegen die Luftverschmutzung - und machen den Klimawandel noch schlimmer.

Womit wir wieder beim „perfekten“ Problem wären.

Wagner: Hier ist ein Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn wir über Nacht die Emissionen global abdrehen könnten? In den nächsten Wochen würden die Temperaturen hochschnellen, weil Emissionen abzudrehen bedeutet, dass wir auch kein SO2 mehr freisetzen würden. Und diese Teilchen, diese Aerosole, tragen zur Kühlung des Planeten bei. Das sind die Zielkonflikte, mit denen wir zu tun haben.

Aufnahme aus dem Weltraum: die Atmosphäre der Erde

NASA

Chemische „Impfungen“ der Atmosphäre könnten den Klimawandel bremsen - die möglichen Folgen sind unbekannt

Man könnte SO2 oder andere aerosolbildende Substanzen auch weiter oben, nämlich in der Stratosphäre freisetzen - eine Idee, die etwa der Nobelpreisträger Paul Crutzen propagiert hat. Wie würde sich so ein Eingriff auf die Umwelt auswirken?

Wagner: Im Endeffekt wissen wir, dass so eine Methode die globalen Temperaturen mindern könnte. Warum wissen wir das? Weil das Vulkane schon seit jeher gemacht haben. 1991 ist der Pinatubo auf den Philippinen ausgebrochen, im Jahr darauf waren die globalen Durchschnittstemperaturen ein halbes Grad geringer. Natürlich geht es nicht darum, Vulkanausbrüche künstlich herzustellen. Es geht darum, das Prinzip zu verwenden. Aerosole hätten bereits in kleinsten Mengen enormen Einfluss auf das Weltklima. Das Wirkungsverhältnis von stratosphärischem SO2 zu CO2 beträgt etwa eine Million zu eins. Wir müssen immer noch das CO2 loswerden, aber es könnte sein, dass uns diese Methode einmal helfen wird. Wir wissen einfach noch nicht genug über die möglichen Folgen.

Gehen wir davon aus, die Methode wäre zielgerichtet einsetzbar: Wo wäre der Haken?

Wagner: Der größte Fehler ist: Wir würden Umweltverschmutzung mit Umweltverschmutzung bekämpfen.

Wer könnte rechtlich entscheiden, so etwas im großen Stil durchzuführen?

Wagner: Ich würde eher fragen: Wer sollte darüber entscheiden? Wir alle, die Weltbevölkerung und ihre politischen Vertreter. Ob das der UNO-Sicherheitsrat oder die UNO-Generalversammlung ist - die Entscheidung sollte auf einer globalen politischen Ebene getroffen werden. Und hier sind wir wieder beim eigentlichen Problem: Wir haben eine Klimakrise, weil es keine Weltregierung gibt. Solar-Geoengineering ist eine so mächtige Methode, dass es, sofern sie in die falschen Hände gerät, viel schlimmer ausgehen könnte, als wir Wissenschaftler uns das vorstellen können.

Was wäre ein möglicher Missbrauch dieser Methode?

Wagner: Nehmen wir folgendes Szenario: Ein vom Klimawandel betroffener Staat entschließt sich, so ein Programm aufzubauen und Flugzeuge mit Hundertausenden Tonnen SO2 in die Stratosphäre zu senden. Das würde ein bis fünf Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das ist relativ billig, vielleicht zu billig. Es gibt 30 bis 60 Staaten auf der Welt, die sich so etwas nur mit ihrem Forschungsbudget leisten könnten. Das heißt, die Motive des Klimaschutzes, so wie wir sie bisher kannten, drehen sich hier um: Es geht nicht mehr darum, Staaten zu motivieren, mehr zu tun. Sondern sie davon abzuhalten, es auf dümmliche Art und Weise zu schnell zu tun.

Wie lange würden SO2-Moleküle in der Stratosphäre verbleiben?

Wagner: Ein bis drei Jahre. Zum Vergleich: Das CO2 bleibt Hunderttausende Jahre in der Atmosphäre. Deswegen haben Entscheidungen, die wir heute treffen, auch Auswirkungen auf die Generationen nach uns.

Angenommen, die globale Temperatur ließe sich tatsächlich korrigieren - was wäre eigentlich die Idealtemperatur für unseren Planeten?

Wagner: Die einzige Temperatur, mit der man argumentieren könnte, wäre jene vor dem Großversuch, mit dem wir CO2 in die Atmosphäre gepumpt haben. Also die Temperatur vor der Industriellen Revolution. Wäre das die Idealtemperatur? Nein. Es gibt keine Idealtemperatur. Niemand lebt am globalen Durchschnitt.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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