Wie Online-Dienste unser Hirn ausnutzen

Im Schnitt greift jeder und jede von uns 88 Mal pro Tag zu Smartphone oder Tablet, um Nachrichten zu checken oder im Internet zu surfen. Das spiegelt sich im Gehirn - und Unternehmen wissen das zu nutzen.

Eine neue Waschmaschine wird gebraucht. Man setzt sich an den Computer und findet ein besonders günstiges Angebot. In diesem Moment beginnt in unserem Gehirn ein regelrechtes Signalfeuerwerk, denn es gilt nun, das Angebot zu bewerten. Ist es wirklich günstig? Ist der Anbieter zuverlässig? Unser Gehirn mag keine Unsicherheit und sucht nach Möglichkeiten, sie zu reduzieren.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 21.6., 12:00 Uhr.

„Da helfen die Signale, die ich von anderen bekomme“, sagt der Neurologe Bernd Weber von der Universität Bonn. Bewertungssysteme und Kommentare geben Auskunft darüber, ob die Entscheidung gut oder schlecht ist und reduzieren dadurch die Unsicherheit. „Das spiegelt sich dann im Gehirn in einer verstärkten Aktivierung dieser Bewertungsregionen wider.“

Der doppelte Haken

Bewertungssysteme sind nur ein Beispiel dafür, wie Bedürfnisse und Funktionen des Gehirns gewinnbringend von Firmen genutzt werden. Nicht umsonst haben alle großen Internet-Unternehmen eigene neurowissenschaftliche Forschung, so der Psychologe Christian Montag von der Universität Ulm: „Viele Firmen aus dem Silicon Valley haben in ihre Plattformen Mechanismen eingebaut haben, die sehr schnell dafür sorgen, dass wir an bestimmte Applikationen gekettet werden.“ Die sogenannte Doppelhakenfunktion etwa: Zwei Haken zeigen an, dass der Empfänger meine Nachricht schon gelesen hat.

Drei neue Nachrichten bei einem Messanger-Dienst

dpa/Daniel Reinhardt

Drei Nachrichten - und die Absender wissen, ob ich sie schon gelesen habe.

Das erzeuge eine Erwartungshaltung, so Montag: „Die andere Person hat die Nachricht gelesen - warum habe ich noch keine Antwort?“ Diese Mechanismen finde man bei vielen Plattformen. „Sie sorgen dafür, dass wir ungewollt mehr Zeit auf diesen digitalen Plattformen verbringen, als es notwendig und gut wäre.“

Uhr statt Smartphone

Fachtagung

Neuro-Informationssysteme sind derzeit Thema bei einer internationalen Fachtagung „NeuroIS“ in Wien.

Das Gehirn reagiert auf positive Rückmeldungen, indem es das Belohnungssystem aktiviert. Ein angenehmes Gefühl macht sich breit, das man gerne öfter hätte - der klassische Suchtmechanismus wird in Gang gesetzt. Um das eigene Verhalten zu analysieren, hat Christian Montag mit seinem Team die Website www.smartphone-addiction.de online gestellt. „Dieser Fragebogen gibt mir ein Bild, inwieweit die Smartphone-Nutzung bereits meine Persönlichkeit bzw. mein Freizeitverhalten verändert.“

Ein Mann schaut auf seine Armbanduhr.

APA/Herbert Neubauer

Ablenkung vermeiden: Uhrzeit auf einer Uhr statt am Smartphone ablesen.

Auch wenn viele digitale Angebote auf unseren Gehirnströmen aufsetzen, hilflos ausgeliefert ist man ihnen nicht, so der Tenor bei der Fachtagung in Wien. Der Ulmer Psychologe Christian Montag plädiert für kleine, leicht umzusetzende Schritte: „Es klingt ein bisschen lustig, aber ich plädiere immer dafür, eine Armbanduhr zu tragen. Viele nutzen das Smartphone als Uhr, sehen eine nette Nachricht, machen 20 Minuten etwas anderes und wissen die Uhrzeit noch immer nicht.“ Ein weiterer Rat des Psychologen: klassischer Wecker statt Smartphone. Dann fällt der erste Blick des Tages auf die Uhrzeit und nicht auf zig ungelesene Nachrichten, die während der Nacht hereingetrudelt sind.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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