Wegweisende Antrittsvorlesung vor 50 Jahren

Mit ihrer frühen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Antisemitismus hat Erika Weinzierl das Fach Zeitgeschichte in Österreich geprägt wie keine andere. Vor 50 Jahren hielt sie ihre Antrittsvorlesung in Salzburg – und schon die war bahnbrechend.

Juni 1968. Ganz Österreich spricht über die Unis. Besser gesagt: Über die sogenannte Uni-Ferkelei. Ein von den Boulevardmedien zum Skandal gemachtes Kunst-Happening an der Uni Wien. Dabei hätte Österreich über Erika Weinzierl diskutieren können. Nur wenige Tage nach der „Uni-Ferkelei“ hielt sie am 11. Juni eine erstaunliche Antrittsvorlesung als ordentliche Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Salzburg.

Veranstaltung

“Universität und Politik in Österreich 1968/2018. Von Erika Weinzierls Antrittsvorlesung zu den jüngsten Uni-Rankings: 25. Juni 2018, 19:00 Uhr, „Alte Kapelle“ Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Campus der Universität Wien, Hof 2, Tür 2.8, Spitalgasse 2–4, 1090 Wien

Unter dem Titel „Universität und Politik in Österreich“ widmete sie sich der politischen Rolle österreichischer Universitätslehrer vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum „Anschluss“ 1938. „Weinzierl hat dabei untersucht, welchen Beitrag die Lehrenden in der Zwischenkriegszeit zum Aufstieg des Nationalsozialismus geleistet haben“, sagt die Historikerin Linda Erker vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, die sich die Antrittsvorlesung zum Jubiläum genau angesehen hat.

Konkret analysierte Weinzierl, welche Themen damals in Lehrveranstaltungen und Dissertationen vorgekommen sind. Die „Kriegsschuldfrage“ wurde z.B. weit öfter thematisiert als „Demokratie“. Die Inhalte der Lehre korrespondierten laut der Analyse Weinzierls mit der politischen Position der Lehrenden.

Erika Weinzierl mit Leon Zelman, dem Gründer des  Jewish Welcome Service Vienna,  1995

APA, Hans Techt

Erika Weinzierl mit Leon Zelman, dem Gründer des Jewish Welcome Service Vienna, 1995

Hort von Deutschtum und Antisemitismus

„Die Politisierung der Professorenschaft war schon in den 1920er Jahren stark. Anfang der 1920er-Jahre waren noch alle Lager vertreten. Aber ab Mitte der 1920er Jahre werden die Hochschulen immer mehr zum katholischen und nationalsozialistischen Hort, wie Weinzierl das nennt“, so Erker.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 27.6., 13:55 Uhr.

Die Auswirkungen des Austrofaschismus fasste Weinzierl als erste Forscherin in Zahlen. In ihrer Antrittsvorlesung nannte sie 13 Lehrende, die nach 1933/34 an österreichischen Hochschulen aus politischen Gründen entlassen wurden, acht davon von der Universität Wien.

Heute, 50 Jahre danach, gibt es zwar noch immer keine völlig gesicherten Zahlen über politisch motivierte Entlassungen und Zwangspensionierungen von Gegnern des Austrofaschismus an den Unis, sagt Linda Erker. Sicher sei aber, dass sie weit höher liegen. Alleine an der Uni Wien wurden von 181 Professorenstellen 43 gestrichen. Dahinter steckten in vielen Fällen politische Gründe, so die Historikerin.

Großer Mut der Historikerin

Gleichgültig ob die niedrigeren Zahlen Weinzierls oder die höheren aktuellen: Auffällig ist, dass nach 1933/34 mehr NS-Sympathisanten von den Unis entlassen wurden als Linke oder Liberale. Das liegt aber nicht daran, dass diese unter Dollfuß und Schuschnigg geschont wurden, sondern dass kaum noch welche übrig waren. Schon zuvor hatten katholische und nationalsozialistische Kreise an den Unis dafür gesorgt, dass linke und/oder jüdische Lehrende die Unis verlassen mussten. „Auch das hat Weinzierl bereits 1968 angesprochen, allerdings ohne Zahlen zu nennen“, sagt Erker.

Links

Diese Zahlen zu ermitteln ist heute leichter als 1968. Nicht zuletzt deshalb, weil große Teile der Kollegenschaft an den Universitäten – aber auch das Umfeld in der Politik – zum Zeitpunkt der Antrittsvorlesung noch aus den 30er und 40er Jahren stammten. „Die wohl bekannteste Person ist Josef Klaus. 1933 war er der erste austrofaschistische Studentenführer der Uni Wien und 1968 österreichischer Bundeskanzler und CV-Mitglied, wie der Großteil seiner Minister. Das unterstreicht, wie mutig es von Weinzierl war, als Staatsangestellte die Zeit und das Umfeld von Klaus derart kritisch zu besprechen.“ Weinzierl war damals ÖVP-Mitglied und bezeichnete sich einmal als „Links-Katholikin“.

Erika Weinzierl 2005

APA, Günter Artinger

Erika Weinzierl 2005

Kaum Reaktion in der Öffentlichkeit

1968 gab es zwar schon „zarte Versuche“ einer Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus, etwa am jungen Institut für Zeitgeschichte in Wien oder am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. „Zum autoritären Ständestaat gab es das allerdings in dieser Form noch nicht einmal in Ansätzen“, sagt Erker. „Weinzierl war also eine echte Vorreiterin.“

Allerdings: Die Folgen ihrer Antrittsvorlesung waren sehr gering, die Presse berichtete kaum, nur die Salzburger Nachrichten brachten einen etwas kurzen Artikel. „Es hat mich schon überrascht, dass Weinzierl überhaupt keinen Skandal losgetreten hat“, sagt die Historikerin Linda Erker. „Umgekehrt halte ich das für ein Indiz, wie virulent das Thema Austrofaschismus war, das sie angesprochen hatte.“

Nach der Antrittsvorlesung sind unter den Fittichen Weinzierls einige wenige Dissertationen zu dem Thema in Salzburg entstanden, auch in Wien gab es erste Arbeiten. „Aber verstärkt geforscht wurde zur politischen Rolle der Universitäten in der Zwischenkriegszeit erst wieder in den vergangenen fünf bis zehn Jahren“, sagt Erker. „Das zeigt, wie früh und wegweisend Weinzierl mit ihrem Motto ‚Grabe, wo du stehst‘ – also der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Umfeld – war. Das Anknüpfen hat sehr lange gedauert.“

Vielfach ausgezeichnet

Erika Weinzierl, geboren 1925, habilitierte sich 1961 für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, von 1964 bis 1992 war sie Vorstand des Instituts für kirchliche Zeitgeschichte am Internationalen Forschungszentrum Salzburg. 1967 wurde Weinzierl außerordentliche, 1969 ordentliche Professorin an der Universität Salzburg.

Sie leitete das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Gesellschaft, ab 1978 las sie am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, sie stand auch lange der „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ vor. Für ihr Lebenswerk wurde Weinzierl vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst I. Klasse und dem Dr.-Hertha-Firnberg-Staatspreis.

Ihr bekanntestes Werk ist der 1969 erschienene Band „Zu wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938-1945“. Insgesamt hat Weinzierl 30 Bücher verfasst bzw. mitherausgegeben und über 200 Aufsätze und wissenschaftliche Beiträge geschrieben.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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