Mit Glasfasern Erdbeben vorhersagen?

Das unterirdische Glasfasernetz der Datenkommunikation könnte Wissenschaftlern künftig bei der Vorhersage von Erdbeben helfen. Erste Versuche in Island zeigen: Die Methode funktioniert.

Alles, was die Forscher brauchen, ist eine einzelne Faser in einem Kabelstrang. Damit können Erschütterungen und Veränderungen im Untergrund genau gemessen werden, wie deutsche Geophysiker im Fachjournal „Nature“ erklären. „In faseroptischen Kabeln gibt es in der Regel mehr Fasern, als tatsächlich genutzt werden. Wir nutzen jene, die sonst nicht in Gebrauch sind“, erklärt einer der Hauptautoren der Studie Thomas Reinsch vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum in Potsdam. Glasfaserkabel werden derzeit in vielen Teilen der Welt für Telekommunikation genutzt. In Island, wo die Forscher nun die Methode erstmals getestet haben, seit 1994.

Um Veränderungen im Boden zu messen, schickten die Forscher Laserimpulse durch einen bereits vorhandenen 15 Kilometer langen Glasfaserstrang. Bewegt sich die Erde (etwa durch Hammerschläge, siehe Video), verändert sich vereinfacht gesagt auch das Lichtsignal. „Gibt es ein Erdbeben, läuft eine seismische Welle durch die Erde, die das Glasfaserkabel dehnt und komprimiert.“ Anhand des gestreuten Lichtsignals kann man sehen, wo diese Dehnung bzw. Kompression konkret stattgefunden hat, so der Geophysiker gegenüber science.ORF.at.

Lichtsignal zeigt Erdbewegungen

Auf diese Weise können die Forscher leichter ein viel genaueres und flächendeckenderes Bild davon zeichnen, was unter der Erdoberfläche passiert, als es bisher möglich war. „Mit der neuen Methode müssen wir nicht mehr den Aufwand betreiben, einzelne Sensoren mit hohem finanziellen und personellen Aufwand zu installieren, zu überwachen und zu vernetzen. Vielmehr können wir bestehende Infrastrukturen nutzen und an einem Knotenpunkt dieser Glasfasernetzwerke ein Messgerät anschließen und den Boden damit großflächig überwachen.“

Die Studie

„Dynamic strain determination using fibre-optic cables allows imaging of seismological and structural features“, Nature Communications (3.7.2018).

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 4.7. um 13:55 Uhr.

Bereits während der Messungen in Island zeigte sich der Vorteil dieser Glasfasermethode. So erkannten die Forscher anhand des Lichtsignals nicht nur eine bereits an der Erdoberfläche sichtbare Bruchzone, sondern eine weitere, bisher unbekannte geologische Störung in der Erde. „Wir haben gesehen, dass diese Störung eine Verzweigung hat und dieser gestörte Bereich insgesamt einen größeren Platz im Gelände einnimmt, als wir bisher vermutet haben“, erklärt die Geophysikerin Charlotte Krawczyk, Direktorin des GFZ-Departments Geophysik.

Erdbebengefahr besser abschätzen

Mit solchen Informationen über Risse und Störungen im Boden könnte man auch Gefahrenzonen von Erdbeben besser einschätzen. Davon könnten vor allem verbaute Gebiete profitieren. „In Neuseeland etwa war man nach den schweren Beben vor einigen Jahren überrascht, als diese so große Schäden angerichtet haben. Man hatte nicht vermutet, dass etwa auch unterhalb der Stadt Christchurch Störungen sind, die diese Erdbewegungen letztlich transportieren“, erläutert die Geophysikerin.

Außerdem hoffen die Forscher, mit diesen umfangreichen Glasfaser-Daten Erdbeben besser verstehen zu lernen und schließlich eines Tages vorhersagen zu können. „Dafür müssen wir erst lernen, diese Phänomene, die einem Beben vorangehen, aus den Daten herauszulesen. Noch kennen wir aber nicht das ganze Potenzial unserer Daten. Wir hoffen aber, dass es in diese Richtung gehen wird.“

Daten produzieren die Forscher mit dieser Methode in jedem Fall reichlich - ein Terabyte täglich, so Krawczyk. Darunter aber nicht nur Informationen über Bruchzonen und langfristige Veränderungen in der Erde, sondern auch allerhand Störgeräusche, wie etwa von Autos, Wellen, die an den Küsten stranden, Wind, Baustellen und sonstigen Geräuschquellen. „Wir analysieren nun, wie der Untergrund auf diese Quellen an der Oberfläche reagiert, um diese für eine Art Tomographie des Untergrundes miteinrechnen zu können“, erläutert Thomas Reinsch. Ob die Analyse in Städten wie Istanbul oder San Francisco genau so funktioniert wie in Island, ist noch offen. „Wir haben jetzt erstmals gezeigt, dass es grundsätzlich funktioniert. Wir müssen die Methode nun an anderen Orten ausprobieren“, so Krawczyk.

Methode auch für Tiefseekabel?

Als weiteren Schritt wollen die Geophysiker analysieren, ob diese Methode auch bei Tiefseekabel anwendbar wäre. Wenn ja, könnte man noch besser verstehen, wie sich die Erde im Untergrund bewegt und verändert, immerhin ist die Erde zu zwei Drittel von Wasser bedeckt. „Hier finden derzeit nur sehr selten Messungen statt“, so Krawczyk. Eine seismologische Tiefseeanalyse ist derzeit aber noch Zukunftsmusik. „Unser Fokus liegt momentan bei Messungen an der Oberfläche“, so Reinsch.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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