Das Ding aus einer anderen Welt

Forscher haben einen merkwürdigen Asteroiden entdeckt, der wie ein Geisterfahrer um die Sonne kreist. Mit Hilfe von Computersimulationen konnten sie die Herkunft des Himmelskörpers aufklären: Es handelt sich um einen Fall von „Asteroidendiebstahl“.

Ab und zu passiert es, dass Astronomen im Sonnensystem noch Neues finden - oder besser: etwas, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Dieses neue Objekt hatten Astronomen Ende 2014 erstmals nachgewiesen.

„Wenn wir einen Himmelskörper entdecken, müssen wir ihn mehrmals beobachten, um seine Umlaufbahn berechnen zu können“, erklärt Fathi Namouni vom Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza. „Die folgenden Messungen haben dann gezeigt: Dieser Asteroid kreist auf einer Bahn um die Sonne, die der aller Planeten entgegenläuft.“ Das Objekt erhielt den Namen BZ509. Seine Umlaufbahn um die Sonne teilt es sich mit dem Planeten Jupiter.

Studie

„An interstellar origin for Jupiter’s retrograde co-orbital asteroid“, Monthly Notices der Royal Astronomical Society (11.6.2018).

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 16. Juli, 13:55 Uhr.

Irrläufer im All

Astronomen glauben, dass sich alle Objekte im Sonnensystem einst aus der gleichen, rotierenden Scheibe aus Gas und Staub gebildet haben. Diesen Drehimpuls hätten sie dann mitbekommen. Und mit diesem Drehimpuls bewegen sie sich seitdem um die Sonne.

„Die Planeten, die Asteroiden und Kometen fliegen alle in der gleichen Richtung um die Sonne“, ergänzt Helena Morais von der Staatlichen Universität São Paulo. Dieses neuentdecke Objekt läuft quasi falsch herum um die Sonne. „Das ist sehr merkwürdig, weswegen wir es unbedingt näher untersuchen wollten.“

Dazu haben sich Namouni, Morais und weitere Kollegen Computersimulationen bedient. Anhand der beobachteten, aktuellen Bahndaten des Asteroiden sollten die Modelle zeigen, wie sich die Umlaufbahn dieses Objekts im Laufe der Zeit verändert hat. Zunächst haben die Forscher virtuell eine Millionen Klone von BZ509 generiert. In den Simulationen fliegen sie alle auf ähnlichen Bahnen um die Sonne wie der Asteroid selbst. Sie variieren aber leicht.

„So konnten wir Unsicherheiten bei der Bestimmung der Umlaufbahn auffangen“, erklärt Fathi Namouni. Dann haben die Wissenschaftler Newtons Gravitationskräfte auf die Asteroidenklone wirken lassen und sind in der Zeit zurückgegangen - so als werde ein Film zurückgespult.

Des Diebstahls überführt

Das Ergebnis dieser Simulationen: Trotz Unsicherheiten und kleiner Abweichungen ist die Umlaufbahn des Asteroiden stabil. Mehr noch: Sie ist bereits seit 4,5 Milliarden Jahren stabil. So weit nämlich sind die Wissenschaftler in ihren Simulationen zurückgegangen, bis zur Entstehung des Sonnensystems. Somit kann der Asteroid nicht aus der Oort’schen Wolke ins innere Sonnensystem eingedrungen sein. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung Millionen von Asteroiden und Kometen, die das Sonnensystem kugelförmig umhüllt.

Grafik: Distanz der Oort'schen Wolke zur Sonne im Vergleich zu den Planeten

NASA/JPL-Caltech

Weit jenseits der Planeten: Die Distanz der Oort’schen Wolke zur Sonne, angegeben in Astronmischen Einheiten

Die Objekte in dieser Wolke fliegen auf allen möglichen Bahnen, auch entgegen der Bewegungsrichtung der Planeten. Das Problem aber ist, dass es sehr lange gedauert hat, bis die Oort’sche Wolke entstanden war. Sie besteht aus dem, was bei der Bildung des Sonnensystems übrig geblieben ist. Der Asteroid BZ509 ist aber seit 4,5 Milliarden Jahren und damit seit Anbeginn des Sonnensystems Teil desselben. Und so lange gibt es die Oort’sche Wolke noch nicht.

Bleibt nur eine Erklärung für den Herkunftsort von BZ509: Er muss außerhalb des Sonnensystems liegen. Die Sonne muss den Asteroiden einem benachbarten Stern entrissen haben. Denn damals, vor 4,5 Milliarden Jahren, standen benachbarte Sterne noch enger beieinander. Solch ein „Asteroidendiebstahl“ war von Astronomen schon lange vorhergesagt worden, konnte nun aber erstmals nachgewiesen werden.

Und er ist womöglich keine Ausnahme: Etwa hundert weitere Asteroiden im Sonnensystem fliegen quasi falsch herum um die Sonne. Ob auch sie eingefangen wurden, wollen die Astronomen nun als nächstes herausfinden.

Guido Meyer, science.ORF.at

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