Eine Welt, von Krisen geschüttelt

Menschenschmuggel, Terrorismus, Cybercrime: Die österreichische UNO-Krisenexpertin Claudia Arthur-Flatz ist rund um den Globus gefordert. Im Interview zeichnet sie ein düsteres Bild einer krisengeschüttelten Welt - zeigt aber auch Lösungsansätze auf.

science.ORF.at: Sie haben einmal gesagt, dass Sie schon in der Schule gelernt haben, mit Krisen umzugehen und dass ein „Nicht genügend“ Ihre Selbstsicherheit sogar steigerte. Machen Ihnen Krisen nichts aus?

Claudia Arthur-Flatz: Ich habe früh gemerkt, dass ich eine Kämpferin bin und eine Krisensituation nicht einfach fatalistisch hinnehmen kann. Das ist mir bis heute geblieben - in meinem Beruf wie im Privaten. Wenn es eine Krise gibt, versuche ich alles, um die Situation in ein gutes Ende umzuwandeln. Es gelingt mir damit, auch in Situationen, die wirklich ausweglos erscheinen, noch einmal zu reüssieren.

Zur Person

Claudia Arthur-Flatz ist seit 2006 in leitender Funktion bei der Division for Policy Analysis and Public Affairs der UNO-Behörde für Drogen und Kriminalität. Sie studierte Ethnologie und Skandinavistik.

Technologiegespräche Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Diversität und Resilienz“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren.

Arthur-Flatz wird am 24. August im Arbeitskreis „Resilienz – Gesellschaft und Krisenbewältigung“ von „Forschung Austria“ sprechen.

Wo gab es so eine Situation in Ihrer Tätigkeit bei der UNO-Behörde für Drogen und Kriminalität (UNODC)?

Arthur-Flatz: Die Königsklasse der Krise ist jene in einem Krisengebiet. Auch die habe ich erlebt. Man ist unter großem Druck und sich dessen bewusst, dass der nächste Schritt sitzen muss. Es gibt auch immer wieder Opfer und Verluste. In solchen Situationen ist es wichtig, dass man sich nicht aufgibt, sondern seine Impulse kontrolliert, soweit es möglich ist, und Ruhe bewahrt für sich und das Team.

Sie kämpfen heute an vielen Orten der Welt gleichzeitig und intervenieren gegen Terrorismus, Korruption, Schmuggel von Migranten und Kulturgütern, Geldwäsche, Cybercrime, Umweltkriminalität und vieles mehr. Wie geht man mit so vielen gleichzeitig existierenden Krisen um?

Arthur-Flatz: Wir befinden uns hier tatsächlich im Auge des Sturms. Die Hälfte aller UNO-Sicherheitsresolutionen der letzten zwei Jahre hat allein unsere Behörde betroffen. Es ist eine fast schon nicht mehr zu bewältigende Aufgabe, da sich die Kriminalität auch über das Darknet rasant ausbreitet. Hier werden etwa illegale Geldflüsse so kanalisiert, dass man die Empfänger nicht mehr findet. Hier wird täglich Neues erfunden, um die kriminellen Entwicklungen voranzutreiben. Das ist wie ein Lauffeuer, und man kann es eigentlich fast nicht mehr aufhalten. Man kann es eigentlich nur noch beobachten.

Das klingt deprimierend.

Arthur-Flatz: Nun, es gibt natürlich noch Dreh- und Angelpunkte, wo man Dinge verändern kann. Aber Sie dürfen nicht vergessen, wir sind keine Einheit, die etwa Terroristen einfängt und sie ausliefert. Wir bieten den Mitgliedstaaten technische und rechtliche Mittel an, um mit den Krisen und der Kriminalität vor Ort umzugehen. Dabei braucht es vor allem Zeit und Geduld. Anhaltende Kriminalität und Radikalisierung etwa kann man nur langsam angehen und versuchen, im Land mitzuwirken und vor allem Präsenz vor Ort zu haben. Zudem braucht es Spitzengefühl und Empathie.

Wo konnten Sie bisher den größten Fortschritt erzielen?

Arthur-Flatz: Ich würde die Frage gerne umdrehen. Die Region bzw. die Krise, die mir am meisten Sorgen bereitet, ist die Sahelzone. Ich glaube, hier wird in den nächsten Jahren noch einiges auf Nordafrika zukommen.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 17.7. um 13.55 Uhr.

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Inwiefern?

Am Sahel sind Krisen an der Tagesordnung. Aber mit zunehmendem Klimawandel, zunehmender Radikalisierung, zunehmender Wasserknappheit, zunehmender Dürre und damit zunehmenden Spannungen zwischen den Ethnien und den Nomaden im Kampf um Ressourcen, die schon jetzt kaum mehr vorhanden sind, wird es hier sicher weitere Migrationsströme in Richtung Nordafrika geben.

Was tun Sie als UNODC konkret, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Arthur-Flatz: Wir haben große Programme dort laufen, die von den Mitarbeitern wirklich unter schwierigsten Bedingungen implementiert werden. Jedes Land im Sahel ist natürlich anders, weshalb wir maßgeschneiderte Programme für jede Region haben.

Hätten Sie ein konkretes Beispiel?

Arthur-Flatz: Im Falle von Radikalisierung ist das Hauptproblem, dass die Menschen keine Möglichkeiten haben. Das ist der Nährboden. Deshalb versuchen wir mit Ministerien neue Möglichkeiten für Beschäftigung und Entradikalisierung zu schaffen. Es geht aber auch darum, die Polizei und Vollzugsbehörden auszubilden und zu sensibilisieren, wie Radikalisierung stattfindet und Muster zu erkennen.

Nämlich?

Arthur-Flatz: Radikalisierung passiert zum Teil sehr niederschwellig. Vor Kurzem habe ich mit einem französischen General gesprochen. Er hatte den Fall eines jungen Mannes, dessen Motorrad gestohlen wurde. Er ging vor Gericht und zur Polizei, aber die Behörden begegneten ihm mit Ignoranz. Irgendwann geriet er an Al Shabaab (Terrororganisation, Anm.) und diese sicherte ihm zu, er bekäme sein Motorrad morgen wieder, aber nun würde er ihr etwas schulden. Das ist ein gutes Fallbeispiel, wie man radikalisiert werden kann, ohne dass man religiös motiviert ist.

Ich würde trotzdem noch einmal gerne auf die Frage nach dem größten Fortschritt zurückkommen. Gibt es kein Gebiet, wo sich eine Krise beruhigen ließ?

Arthur-Flatz: Diese Frage kann ich politisch gar nicht beantworten. Regionen sind inzwischen global volatil. Wenn ich heute was bestätige, und sie berichten morgen darüber, könnte ich komplett falsch liegen. Deswegen enthalte ich mich der Meinung.

Sie sprechen in Alpbach bei den Technologiegesprächen im August zum Thema „Resilienz - Gesellschaft und Krisenbewältigung“. Wann ist für Sie eine Gesellschaft, ein Land resilient?

Arthur-Flatz: Resilienz ist an sich etwas Gutes, nur ich beobachte in letzter Zeit, dass Resilienz oft mit Ignoranz und sozialer Kälte verwechselt wird. Ich habe das Gefühl, das ist ein globaler Trend, dem Gesellschaften weltweit folgen. Es scheint niemanden mehr zu kümmern, dass täglich Kinder im Mittelmeer ertrinken.

Verstehe ich Sie richtig, büßen Länder dadurch zunehmend ihre Resilienz, also ihre Krisenfestigkeit ein?

Arthur-Flatz: Ja, es wird immer mehr Politik der Bilder und nicht der Inhalte gemacht. Dabei wird nur noch das kurzfristige Image gepflegt und wirkliche Krisen wie soziokulturelle, politische und soziale Krisen werden überdeckt. Es werden auch zu schnell Schlüsse gezogen und gehandelt. Ich wünschte mir, es gäbe in der Gesellschaft mehr Misstrauen gegenüber der Politik. Ich sehe die Situation im Moment eher so: Wie beim Rattenfänger von Hameln folgen viele einer schönen Melodie. Aber niemand weiß, wohin die Reise geht.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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