Wie Mikroben mit der U-Bahn reisen

Das U-Bahn-Netz von Hongkong transportiert jeden Tag fünf Millionen Menschen - und noch bedeutend mehr unsichtbare Passagiere. Ein Experiment zeigt: Dort ist jede U-Bahn-Linie ein rollender Inkubator mit einzigartiger Bakteriengemeinschaft.

Derweil man in Wien über die Duftnote der U6 unter besonderer Berücksichtigung würziger Speisen und Körperausdünstungen diskutiert, nähern sich Forscher aus Hongkong dem Thema auf wissenschaftliche Weise: Mikroben in der Metro, das ist der Untersuchungsgegenstand einer soeben im Fachblatt „Cell Reports“ erschienenen Studie.

Die Idee dafür hatte Studienleiter Gianni Panagiotou bereits 2013, als er das erste Mal nach Hongkong kam. „Damals gab es eine öffentliche Debatte über die SARS-Epidemie, die zehn Jahre zuvor 300 Menschen das Leben gekostet hatte. Die Menschen in Hongkong sind sich möglicher Gesundheitsrisiken sehr bewusst. Sie tragen Schutzmasken, wenn sie verkühlt sind“, erzählt der aus Griechenland stammende Mikrobiologe gegenüber science.ORF.at.

Jeder Linie ihre Mikroben

Um herauszufinden, wie sich die Bakterien im öffentlichen Verkehrsnetz verteilen, schickte Panagiotou Freiwillige (mit gewaschenen Händen) in die U-Bahn, entnahm danach Proben von ihren Handflächen - und entdeckte bei der Auswertung ein Muster: In Hongkong besitzt offenbar jede U-Bahn-Linie einen typischen mikrobiellen Fingerabdruck.

Jene Linie, die direkt am Meer vorbeiführt, trägt etwa besonders viele aquatische Mikroben mit sich. Und jene, die vom chinesischen Festland kommt, transportiert besonders viele resistente Bakterien in die Metropole am südchinesischen Meer. Panagiotous Erklärung dafür: Die Sonderverwaltungszone Hongkong und China haben unterschiedliche Regelungen, was die Verwendung von Antibiotika in Viehzucht und Landwirtschaft angeht.

Passagiere in der U-Bahn von Hong-Kong

AP / Ma Ping - Imaginechina

U-Bahn in Hongkong: Das unterirdische Streckennetz umfasst mehr als 150 Kilometer

Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, ist der Fingerabdruck der U-Bahn-Linien allerdings nur morgens nachzuweisen. Untertags übernehmen nämlich die Hautbakterien der Passagiere das Kommando und springen munter von der Hand zum Haltegriff und wieder zurück. In der Nacht, wenn die Züge still stehen, drehen sich die Verhältnisse im unterirdischen Ökosystem um. Dann sind wieder die Mikroben aus der Umwelt im Vorteil und besiedeln die U-Bahnen von neuem.

Stadt der Infektionen

Gesteigerten Grund zur Sorge sieht Panagiotou angesichts dieser Ergebnisse keine: „Unser Projekt zeigt, welch unterschiedlichen Bakterien wir im Laufe eines Tages ausgesetzt sind. Wir haben auch festgestellt, dass es in stark frequentierten Linien keine erhöhten Gesundheitsrisiken gibt - weder bei Krankheitserregern, noch bei Resistenzen.“

Gleichwohl ist Honkong epidemiologisch betrachtet ein anderes Pflaster als etwa Wien: In dem dicht besiedelten Ballungsraum kam es immer wieder zu schwerwiegenden Epidemien, in den späten 1960er Jahren nahm dort eine Grippewelle ihren Ausgang, an der weltweit rund eine Million Menschen starben. Auch jüngst, nämlich letzten Winter, wurden Hongkonger Schulen und Kindergärten geschlossen, um die Ausbreitung eines gefährlichen Influenzaerregers einzudämmen.

Dass man sich in Wien über Kebap-Düfte in der U-Bahn zu echauffieren vermag, entlockt dem Mikrobiologen denn bloß ein Schmunzeln. „In Hongkong müssen wir die Risiken so gering wie möglich halten. Ich habe noch nie so saubere U-Bahn-Stationen gesehen wie in dieser Stadt.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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