Wieso es so viele Sprachen gibt

Wo viele verschiedene Tiere und Pflanzen leben, gibt es auch viele Sprachen. Das gilt besonders seit der Sesshaftwerdung des Menschen vor rund 12.000 Jahren. Bei Jägern und Sammlern war der Einfluss der Umwelt weniger ausgeprägt, wie Forscher nun berichten.

Rund 7.000 Sprachen gibt es derzeit noch weltweit. Heute droht dieser Vielfalt ein ähnliches Schicksal wie der Artenvielfalt: Wenn nur mehr wenige Sprecherinnen und Sprecher übrig sind, wird die Sprache über kurz oder lang ganz verschwinden.

Die Sprachendichte verteilt sich dabei recht unterschiedlich über den Globus. In Europa sieht es eher bescheiden aus, recht viel mehr als hundert Sprachen finden sich nicht auf unserem Kontinent. In anderen Weltgegenden werden hingegen auf engstem Raum hunderte Sprachen gesprochen. Rekordhalter ist Papua-Neuguinea. Über 800 Sprachen und Dialekte gibt es in dem Inselstaat.

Was die Vielfalt prägt

Dass in manchen Gebieten so viele Sprachen gesprochen werden, liegt unter anderem an der Geografie, etwa wenn Gruppen in schwer zugänglichen Tälern oder auf Inseln leben. Aber auch andere Umweltfaktoren dürften eine Rolle spielen, wie die Forscher um Curdin Derungs von der Universität Zürich in ihrer aktuellen Arbeit schreiben.

Dabei zeigt sich eine weitere Parallele zur Biologie: In fruchtbaren Gegenden ist die Biodiversität meist höher als in kargen Gebieten. Und dort, wo viele Arten leben, gibt es häufiger auch viele kleine Sprachen mit wenigen Sprechern. Denn wenn die nähere Umgebung viel zu bieten hat, bleiben die Menschen in überschaubaren Regionen und haben wenig Kontakt zu anderen Gruppen - so die Theorie dahinter. Ist die Umwelt hingegen weniger vielfältig und somit auch weniger ertragreich, verbreiten sich Sprachgruppen auf größere Gebiete, damit ihre Lebensgrundlagen gesichert sind.

Widersprüchliche Thesen

Ob der Einfluss der Umwelt auf die Sprachenvielfalt immer gleich ist bzw. historisch war oder auch etwas mit Lebensweisen zu tun hat, hat das Schweizer Team nun global untersucht. Die Forscher haben das sesshafte Leben mit modernen Jäger-und-Sammler-Gruppen verglichen und zwei einander widersprechende Thesen untersucht: Wenn Ackerbau betrieben wird, könnte der Einfluss der Umwelt auf die Sprachenvielfalt geringer sein als bei Jägern und Sammlern. Denn technische Hilfsmittel, wie z.B. Bewässerungssysteme, machen unabhängiger von natürlichen Umständen.

Es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein: Dann wäre der Einfluss der Umwelt auf die Sprachenvielfalt bei einer sesshafte Lebensweise besonders hoch. Denn anders als Jäger und Sammler ziehen Bauern nicht einfach weiter, wenn die Natur nicht mehr genug hergibt.

Globale Vielfalt

Zur Untersuchung des Zusammenhangs verwendeten die Forscher unter anderem die Glottolog-Datenbasis. Diese sammelt weltweit Sprachen; auch solche, die noch bis vor Kurzem gesprochen wurden. Daher spiegelt sie die Vielfalt vor dem sprachlichen Massensterben, das in den vergangenen hundert Jahren und in der Gegenwart durch die zunehmende Globalisierung um sich greift.

Die Umweltbedingungen wurden mit zehn Variablen erfasst. Diese zeigen unter anderem, wie feucht ein Gebiet ist, auf welcher Meereshöhe es liegt, wie weit entfernt sich das nächste Gewässer befindet und wie hoch die Durchschnittstemperaturen sind.

Sesshaftigkeit macht anfällig

Tatsächlich sprechen die Daten für die zweite Hypothese. Demnach ist der Einfluss der Natur auf die Sprachenvielfalt durch Ackerbau und Viehzucht bzw. durch die entsprechenden Technologien nicht zurückgegangen, sondern im Vergleich zur Jäger-und-Sammler-Lebensweise sogar gewachsen. Laut den Studienautoren ist die postneolithische Lebensweise viel anfälliger für Umwelteinflüsse. Dort, wo das ökologische und klimatische Risiko gering ist - weil es feucht, warm und fruchtbar ist-, gibt es daher viel mehr Sprachen als in trockenen und kargen Gebieten.

Wie die Forscher vermuten, wird die sprachliche Vielfalt, die sich nichtsdestotrotz auch bei Jägern und Sammlern findet, bei diesen weniger durch Umweltbedingungen, sondern vor allem durch soziale und kulturelle Faktoren geprägt.

Mittlerweile ist der Einfluss der Umwelt auf die Sprachenvielfalt wohl eher schwach. Denn einerseits ist das ökologische Risiko durch moderne Techniken vielerorts längst minimiert. Außerdem ist es in Zeiten der fortschreitenden sprachlichen Globalisierung eher unwahrscheinlich, dass viele neue Sprachen und Dialekte auftauchen - egal, wie die Umwelt beschaffen ist. Im Gegenteil: Viele kleine Sprachen werden für immer verschwinden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

Mehr zum Thema